Wenn nicht jetzt, wann dann?
die keine Pille hilft! Also, sollen doch lieber die anderen vor den Altar treten. Die armen Ahnungslosen!«
»Und der gutaussehende Onkel Doktor …?«
»Ist ein gutaussehender Onkel Doktor. Ich zeig ihn dir mal, dann siehst du, was ich meine. Und Punkt.«
Simon gelang es endlich, sich aus der Klinik zu verabschieden und sich auf den Heimweg zu machen. Bevor er das Gebäude verließ, musste er dem Impuls regelrecht widerstehen, noch einmal bei Elizabeth Baumgarten vorbeizuschauen, um ihr eine gute Nacht zu wünschen. Er hatte das Gefühl, dass er heute schon fast aufdringlich gewesen war. Mit dem Kaffee am Morgen hatte es angefangen. Dann der vom Chef verordnete Extrabesuch nach der Visite, der sich ein wenig ausgedehnt hatte, und dann war er noch zweimal unter einem Vorwand zu ihr gegangen. Sie konnte ihm schließlich nicht aus dem Weg gehen, wenn er ihr zu viel werden sollte. Darauf musste er Rücksicht nehmen, er musste sich bremsen. Er konnte unmöglich alle zwei Stunden aus irgendeinem Grund bei ihr auftauchen. Heute hatte er den ganzen Tag schon Herzklopfen bekommen, wenn er nur an ihrer Zimmertür vorbeigegangen war, was oft vorkam, schließlich lag sie auf seiner Station. Elizabeth. Er musste sie einmal fragen, warum ihr Name mit einem »z« geschrieben wurde. Vielleicht gab es irgendwo im Hintergrund englische Verwandtschaft? Aber er sollte die junge Frau, die anscheinend Fahrrad fuhr wie ein Henker, jetzt erst einmal aus seinem Kopf streichen und an Leonie denken, die er in einer halben Stunde bei Sandra abholen würde, da musste er so pünktlich wie möglich sein. Die kleinsten Verfehlungen seinerseits reichten schon aus, um ein riesiges Drama zu provozieren, und das wollte er Leonie ersparen. Es fiel ihr sowieso schon schwer genug, immer zwischen ihnen beiden hin und her zu wechseln. Wenn dieser Wechsel auch noch in eisiger Stimmung oder, schlimmer noch, bei tosendem Sturm zu geschehen hatte, wurde alles noch schwerer. Wer verließ schon gerne bei Sturm sein sicheres Zuhause?
Bevor er klingelte, verharrte er einen kurzen Moment. Es war jedes Mal wieder seltsam, vor der Tür zu stehen, die einmal seine Haustür gewesen war, und auf den Knopf neben dem Klingelschild zu drücken, auf dem sowohl sein Name als auch wieder Sandras Mädchenname stand. Als sie noch eine intakte Familie gewesen waren, hatte er abends stolz vor dieser Tür gestanden und sich darauf gefreut, nach Hause zu kommen. Später, als sie noch immer eine Familie waren, aber bei weitem nicht mehr intakt, hatte er oft vor dieser Tür gestanden und nicht gewusst, ob er nun hineingehen sollte oder nicht. Auf der Fußmatte hatte »Willkommen« gestanden, aber er hatte sich selten willkommen gefühlt, eher wie ein störender Eindringling, der genauso gut wegbleiben könnte.
Sie hatten sich wahnsinnig gefreut, als Sandra schwanger geworden war, und als Leonie geboren wurde, standen sie kopf vor Glück. Simon konnte sich gar nicht richtig erinnern, wann es angefangen hatte, schwierig zu werden. Leonie war vielleicht ein Jahr alt oder anderthalb, da hatte Sandra begonnen, wieder nach möglichen Stellen Ausschau zu halten, weil ihr die Decke auf den Kopf fiel. Sie war es leid, dass ihre gut ausgebildeten, hochschulgereiften Gedanken um nichts anderes kreisten als um die beste Methode, Kartoffelbreichen zu pürieren, darum, wo es Windeln im Sonderangebot gab, und welches Mittel am besten beim Zahnen half. Als er eines Abends nach Hause gekommen war und sie ihn wortlos an der Hand genommen hatte, um ihn ins Schlafzimmer zu führen, hatte er alles Mögliche erwartet: von der Wiederbelebung ihres ehelichen Sexuallebens bis hin zu einem Spinnennest, das er beseitigen musste. Was er nicht erwartet hatte, war, dass sie den Schrank öffnete, um ihm das Fach zu zeigen, in dem die Handtücher lagen. Nach Farben sortiert. Sandra hatte ihn angesehen und gesagt: »Ich muss wieder arbeiten.« Er hatte genickt, und sie hatte begonnen, sich zu bewerben.
Sie fand keine Stelle, was sie wahnsinnig frustrierte, und sie fing an, ihn um seine Arbeit zu beneiden. Abends, wenn er nach Hause kam, warf sie ihm vor, er könne jeden Tag das Haus verlassen und spannende Dinge tun, während sie festsaß. In ihrer Unzufriedenheit begann sie an seinem Beruf herumzukritteln, regte sich auf, wenn er viele Nachtdienste hatte, fand es ungerecht, dass er seinen Facharzt machen und sich weiterbilden konnte, während sie zu Hause saß und Breichen kochte. Gleichzeitig
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