Wenn nicht jetzt, wann dann?
das hatte keine seiner sorgsam gefärbten Blüten. Er führte sie in sein blaues Gewächshaus, das ihn wie immer mit seinem Blau empfing, und bemerkte, dass sie wie verzaubert stehen blieb. Er wartete ein wenig ab und ließ sie den Eindruck genießen, und es gefiel ihm, dass sie das Blau zu verstehen schien. Dann nahm er ihren Arm und führte sie in die Mitte des Glashauses, drehte sie so, dass sie ins Licht schauen musste, und trat einige Schritte zurück, um das Blau ihrer Augen mit dem seiner Hortensien zu vergleichen.
»Noch eine Spur Sulfite in den nächsten Tagen«, brummelte er vor sich hin.
»Vielen Dank«, sagte er mit einer leichten Verbeugung. »Sie haben ein ganz hervorragendes Augenblau. Sie haben mir sehr geholfen. Und nun trinken wir eine Tasse Kaffee am Rosenbeet hinter meinem Haus. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich ihn ohne Maschine koche. Aber er schmeckt mir besser so. Es gehört doch einfach dazu, neben dem Filter zu stehen und Wasser nachzugießen.«
Annemie lief ihm verdutzt hinterher und folgte ihm bis in seine Laube.
»Ich setze mal Wasser auf«, kündigte er an und stellte einen Kessel auf einen Gasherd, der an der einen Seite des Raumes stand, und bot ihr einen Stuhl an.
Hannes Winter nannte dies zwar sein Haus, aber eigentlich war es eine Gartenlaube. Dafür gedacht, dass er als Gärtner einen Platz hatte, wenn es regnete, zum Aufwärmen im Winter, einen Ort, wo er sich mittags etwas zu essen machen konnte, oder, wie jetzt, um einen Kaffee zu kochen. Er war irgendwann einfach hiergeblieben. Hatte seine Wohnung in der Stadt und all seinen Besitz bis auf ein paar wenige Dinge verkauft und war mit Sack und Pack hier eingezogen. Die Laube bestand aus einem Raum, der etwa fünfundzwanzig Quadratmeter groß war. Auf der einen Seite befand sich die »Küche«, ein Kühlschrank, auf dem eine Doppelkochplatte stand, daneben ein Küchenschrank, der alles an Geschirr und Kochutensilien und Vorräten enthielt, und davor ein Tisch mit einem Stuhl, auf dem Annemie nun saß und sich neugierig umschaute, während sie die Stifte und das Messer, die auf dem Tisch vor ihr lagen, parallel zueinander legte und gewohnheitsmäßig ein paar Krümel wegfegte.
»Ist es Ihnen nicht ordentlich genug?«
Er sah, wie sie leicht zusammenzuckte und wieder errötete.
»O nein, nein, bitte … das ist so eine Marotte von mir. Ich muss immer alles ordnen, entschuldigen Sie …«
»Damit Sie den Überblick nicht verlieren.«
»Genau.«
Sie antwortete vorsichtig und sah ihn fragend an.
»Geht es Ihnen auch so?«
»Nein«, er deutete mit einer ausladenden Bewegung lachend in sein Reich, das zwar nicht gerade unordentlich war, jedoch sehr bunt und zusammengewürfelt.
»Aber ich kann es verstehen. Es gibt Zeiten im Leben, da braucht man Marotten.«
»Nun, diese Zeit dauert bei mir schon ziemlich lange an.« Sie faltete seufzend die Hände im Schoß und lächelte ihn schüchtern an. »Mein Mann, also, mein verstorbener Mann, hat mich meist ausgelacht deshalb. Und irgendwann hat es ihn wahnsinnig gemacht. Na ja, es ist vielleicht auch ein bisschen mehr als eine Marotte, und wenn jemand jeden Tag alles geraderückt …«
»Der Mann, mit dem Sie die Liebe nicht gefunden haben.«
»Sie haben ziemlich genau zugehört.«
»Ich führe nicht viele Unterhaltungen.«
Annemie nickte, das schien sie gut zu verstehen. Sie fragte, ob sie sich umsehen dürfe, und er machte mit seiner freien Hand eine einladende Bewegung.
»Nur zu«, forderte er sie auf, während er kochendes Wasser in den Kaffeefilter goss und sich der Duft von frischem Kaffee im Raum ausbreitete.
Annemie drehte sich um, und er sah nun mit ihren Augen, wie er lebte. Sah sein Bett mit dem schönen Kopfteil aus Kirschholz, ein altes Familienerbstück, ordentlich gemacht, mit zwei zusätzlichen, gefalteten Decken am Fußende, denn die Nächte konnten sehr kalt sein. Davor stand ein Stuhl, über dessen Lehne ein Pullover hing und auf dessen Sitzfläche ein Wecker stand. Das war der zweite Küchenstuhl, der irgendwann einmal an den Tisch gehört hatte, an dem Annemie nun saß, aber dort nicht mehr gebraucht wurde. Weil Hannes Winter nie Besuch bekam, hatte er ihn in einen Nachttisch verwandelt. Annemie war der erste Mensch, den er seit Jahren in seine Laube gebeten hatte. Es war seltsam, wieder jemanden so nah bei sich zu haben. Neben dem Bett an der Wand stand ein kleines Regalschränkchen mit einigen Büchern und Schachteln, in denen er die Dinge
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