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Wenn nichts mehr ist, wie es war

Wenn nichts mehr ist, wie es war

Titel: Wenn nichts mehr ist, wie es war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Berger
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gelben Rosen entgegen. Sie war hier, das war nun gewiss, aber warum war sie nicht zurück zum Au s gang gekommen ? Sich mit allerlei vernünftigen Erklärungen selbst beruh i gend, wie derjenigen, dass sie sich schlicht verpasst hatten, Beth inzwischen freudestrahlend ihre Mutter begrüsst hatte und draussen auf ihn warten wü r de, trat er zurück auf den Weg. Zuerst ging er auf dem Pfad zurück, den er gekom men war. Dann kam er an eine Stelle , an der der Weg bre i ter wurde. Auf den ersten Blick keine ungewöhnliche Begebe n heit , wenn man jedoch genauer hinsah, entdec k te man, dass der Weg sich dort teilte , zwar schlängelte er sich die ersten Schritte parallel zum and e ren durch die Landschaft, dann jedoch setzte er sich in eine andere Richtung fort , fernab des Rückwegs . Bei Tag war diese Stelle gut sichtbar, aber bei Nacht reichte ein kurzer Moment der Ablenkung oder der Unachtsamkeit aus und di e ser Ort wurde zur Falle. Jérémie ents chied sich absichtlich für den fal schen Weg. Je tiefer er in das Friedhofsgelände eindrang, desto dunkler wurde es. Immer vorsicht i ger bahnte er sich einen Weg zwischen den Gräbern hindurch, bis er plötzlich ein en kleine n Lich t schein in der Dunkelheit aufflackern sah. Um etwas Genaues zu erkennen, war er zu weit weg, doch der Schein reichte aus, um schattige Gestalten e r scheinen zu lassen, die weder zu Tieren noch zu Pflanzen passten. Ausserdem hatte er das Gefühl, die Luft wü r de ihm Geräusche zutragen , die Fetzen einer Unterhaltung ähne l ten . Alarmiert schlich er neugierig näher. In geduckter Haltung suchte er hinter den Grabsteinen D e ck ung, bis er nah genug war, um besser sehen und h ören zu können. Und dann sah er sie. Beth. Das , was er zu sehen bekam, hatte er nicht erwartet, weshalb ihn der Anblick, der sich ihm bot, beinahe w ü tend aufschreien liess . Die aufkeimende Wut niederkämpfend und sich auf seine hart antrainierte kühle Vorg e hensweise besinnend, zwang er sich, die Szene emotionslos zu betrachten. Er sah Beth, wie sie mit Han d schellen an ein vermeintlich dekoratives Metallgestänge gefe s selt vor einem Grabstein hockte. Schnell huschten seine Augen über ihren Körper, um so gut es in dieser Situation möglich war, siche r zugehen, dass sie nicht verletzt war . Sein Kontrollblick erreichte ihren Hals. Beinahe hätte er seinen Vorsatz der beruflichen Pr o fessionalität wieder verge s sen. Das Blut lief von knapp unterhalb des Ohres ihren l angen, zierlichen Hals hinunter. Ansonsten schien sie unverletzt, weshalb Jérémie seinen Fokus auf das W e sen vor ihr richtete. Er konnte aus seiner Position nicht viel erke n nen, denn der Mensch hatte ihm den Rücken zug e kehrt, dennoch schloss er aus der Statur und den Bewegungen, dass es sich um einen hageren Mann handelte, der irgendetwas fest zu umkla m mern schien, der eigentliche Gegenstand wurde aber vom Jacke n ärmel des Mannes verdeckt. Abwägend, was er tun sollte, legte Jérémie sicherheitsha l ber die Hand an seine Pistole. Kaum hatte er den Griff fest mit den Fingern umschlossen, entschied er sich d a gegen. Er stufte den Mann als äusserst unberechenbar und hoc h gradig geistig verwirrt ein, we s halb der Entschluss nahe lag, dass er sich nicht durch ein einf a ches ‚Polizei, lassen Sie die Waffe fallen’ von seinem Vorhaben abbringen lassen würde . Schiessen kam ausserdem nicht infrage, weil er von seiner momentanen P o sition aus nicht s i cherstellen konnte, dass die Kugel nicht auch Beth traf . Während er noch überlegte , konnte er beobachten, wie sich die Lage dram a tisch zuspitzte , denn auf einmal streckte der Wahnsinnige seinen Arm in die Luft, was den Blick auf den fest umklammerten Gegenstand freigab. Jérémie wusste, dass er ha n deln musste , und zwar unve r züglich .
     
    Entsetzt schrie Beth auf, als der Mann nun seine Hand in den dun k len Himmel erhob. Das Messer glitzerte bedrohlich im Schein der Kerze . Erneut durchbrach er die Stille der Nacht mit seinem b e schwörenden Ruf . „Sterben!“ Dann durchschnitt das Messer die Luft und sau s te nieder . Direkt auf sie zu. Auf einmal fühlte Beth nichts mehr. Sie schloss die Augen und drehte ihren Kopf zur Seite, beinahe so, als kön n te sie ihr Schicksal damit abwenden und sich vor dem Unheil schützen. Eigentlich hätte sie erwartet, dass gemäss allen Erzählungen ihr ganzes Leben vor ihrem inn e ren Auge vorbeiziehen würde. Aber es geschah nichts dergleichen. Einzig eine friedliche

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