Wenn nichts mehr ist, wie es war
stören.“
„Wow, das klingt, als wäre ich die ve rlorene Kriegerin, die s o eben da s Geheimnis der Shaolin für den grossen Kampf vermittelt e r hält.“
„ Mädchen, du solltest wirklich weniger Fernsehen. Der Junge ist einfach unheimlich empfindlich in Bezug auf seine Vergange n heit. Willst du es nun h ö ren oder nicht?“
„Entschuldigung. Ich bin ganz Ohr.“
„Gut. Es sieht so aus , als hätte Jérémie dir von der r eligiösen Ei n stellung seiner Mutter erzählt und auch davon, wie sie diese inte r pr e tiert und umgesetzt hat.“
Beth nickte nur, um Schwester Johanna nicht wieder zu unterbr e chen.
„Leider kam, was kommen musste. Der Vater war genauso ein Schlappschwanz wie eine falsche Schla n ge. Eigentlich trifft es der Ausdruck Hyäne wohl am ehesten . Er ernährte sich vom Aas der G ro s sen und S tarken.“ Die Augen kullerten Beth beinahe aus den Höhlen, als sie die Wortwahl der frommen Schwester vernahm. Solche Ausdr ü cke wollten nicht richtig in das Bild der friedlich ruhenden Klostermauern passen. De n noch, Beth schwieg.
„Nun, der Vater flog irgendwann auf und dann aus. Die Mu t ter gab auch dafür dem Jungen die Schuld. Bald schon trieb er sich nur noch auf der Strasse herum. Er war herunte rgekommen und verwahrlost. Nahe li e gend, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er mit den falschen Leuten in der falschen Gegend ve r kehrte. Schon früh streunte er in der Drogenszene herum, rauchte und trank mit ungefähr elf Ja h ren. Der Mutter war das egal, sie war ihre Teufelsbrut endlich los ohne ihn sündhaft ausgesetzt zu haben, also war sie zufrieden. Perfiderweise endete die Mutter an der Nadel und für einen Schuss ve r kaufte sie dann auch ihren Körper. Jérémie hatte sich an die rauen Sitten und das Überleben auf der Strasse bereits gewöhnt und weil er nie in die Schule g e gangen war, begann er sein Geld mit Drogen zu verdienen. Dumm nur, dass er selbst davon abhängig wu r de.“
Mit offen stehendem Mund saugte Beth jedes einzelne Wort in sich auf, aber sie konnte bei bestem Willen keine Verbi n dung zwischen einem drogenabhängigen Kind und dem Polizisten, den sie kennen gelernt hatte, he r stellen.
Schwester Johanna sprach unbeirrt weiter. „Ich weiss , was du jetzt denkst. Er war noch ein Kind und bereits im schlimm s ten Sumpf der schiefen Bahn. Aber der Herr meinte es gut mit ihm und gab ihm eine zweite Chance. Eines Tages war seine Hem m schwelle, wenn er diese überhaupt besass, soweit gesunken, dass er eine Nonne bestehlen wollte. Diese erwischte aber die flinken Finge r chen und der Ju n ge bekam die Predigt seines Lebens zu hören. Eine Tracht Prügel hätte es auch getan, aber ich dachte mir damals schon, dass er davon wahrscheinlich bereits genug bekommen hatte und gegen die vermeintliche Wi r kung immun war.“
„Was haben S ie zu ihm gesagt?“
„Nun, zuerst habe ich ihm ordentlich die Meinung gegeigt, was ihm einfalle, eine Ordensschwester b e klauen zu wollen. Diebstahl allgemein sei bereits Sünde g e nug und so weiter und so weiter. Dann habe ich ihm gesagt, dass Gott ihn trotzdem liebe und ihm vergeben würde. Und ich erklärte ihm, dass es schlies s lich einen Grund hätte, weshalb er mich den kleinen Dieb erw i schen liess . Denn so wurde er einerseits vor einer erneuten Sünde bewahrt und andererseits ergab sich die Chance auf ein besseres L e ben.“
„Das hat gewirkt? Sie können mir nicht erzählen, dass Jérémie I hnen dann einfach gefolgt ist!“ Ungläubig schaute Beth zu ihrer Gespräch s partnerin auf .
„Nei n, so gut bin nicht einmal ich. Nachdem ich das Handgelenk des Jungen wieder losgelassen hatte, rannte er wie der Wind d a von. Ich habe dann für mich den En t schluss gefasst, regelmässig an unserem Ort der ersten Begegnung vorbeizuschauen. Manc h mal habe ich einfach nur eine halbe Stunde dagestanden und g e wartet. N ur um zu ze i gen, dass ich da war. Denn sind wir mal ehrlich, hätte ich mich nicht immer wieder auf die Bildfläche g e schlichen, hätte der Junge meine Worte nicht im Geringsten ernst genommen und sofort wieder ver gessen . Mit meinem Erscheinen konnte ich aber einen doppelten Effekt erreichen . Einerseits sorgte ich mit meiner Anwesenheit dafür, dass ihm meine Worte unwe i gerlich immer wieder in Erinnerung zurückgerufen wurden und andererseits hatte er mit meiner Anwesenheit auch eine Anlau f stelle, wenn er sich für die zweite Chance entscheiden sol l te.“
Unverhohlene Bewunderung
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