Wenn nichts mehr ist, wie es war
für die Hartnäckigkeit und den Gla u ben an das Gute im Menschen spiegelte sich auf Beths G e sicht. „Woher wussten Sie, dass er sie immer sehen würde und nicht einfach in anderen Revieren plü n derte?“
„Meine Hoffnung, dass noch ein letzter Rest eines Jungen in ihm steckte, bewog mich dazu, an die Ne u gierde zu glauben, die ihn immer wieder zurückkehren lassen wü r de , um zu sehen, ob auch ich wieder da wä r e . Natürlich hielt er sich anfangs noch ve r steckt.“
„Wie kam es dann, dass er mit I hnen ging?“
„Eines Tages kam er aus se inem Versteck hervor und fragte, wie denn diese zweite Chance aussähe , er glaube, er brä u ch t e sie jetzt. Und dann brach er vor meinen Fü s sen zusammen.“
„Was? Warum?“ Beth war schockiert. W enn sie bedachte, dass dies die Geschic h te über den Jérémie war, der sie zu sich geholt hatte, um sie besser schützen zu können , zog es ihr den Magen z u sammen.
„Nun, es war alles zuviel. Sein Körper spielte nicht mehr mit. Ich habe ihn mit hie r her genommen. Dann brach eine schlimme Zeit für ihn an. Die Drogen, die schlechte und auch teils fehlende E r nährung, die schmutzige Umgebung, das alles hatte seinen Tribut gefor dert. Die Flöhe waren noch das H armloseste. Erschreckt habe ich mich aber vor allem auch darüber, welche Narben der Kleine bereits vorzuzeigen ha t te. Ich wusste damals ja noch nichts von der Familie.“
Ein vages Gefühl unter den Fingerkuppen brachte Beth t atsächlich eine Erinnerung an auffällig viele U n regelmässigkeiten auf Jérémie s Haut zurück. „Mein Gott.“ Es war nicht mehr als ein Flü s tern.
Das Rätsel darum, weshalb sich Jérémie in der miesen Gegend d a mals so selbstverständlich bewegte und auch um den Mann , der ihn angesprochen hatte, als wären sie alte Bekannte, schien gelöst. Es ergab auf ei n mal alles einen Sinn.
„ Du sagst es, mein Liebe, du sagst es. Im Endeffekt hat er aber alles gut überstanden. Das muss ich d ir aber bestimmt nicht erzä h len.“ Das Augenzwinkern von Schwester Johanna entging Beth keine s wegs .
„Aber wollte er denn nicht ausreissen, nachdem es ihm wi e der besser ging?“
„Nein. Es dauerte zwar eine Weile, bis wir ihn in den Griff bek a men. Verstän d licherweise hatte er Mühe, sich an feste Regeln zu halten und sich anzupassen. Der schnellste Erfolg, der sich ei n stellte, war die neue Glaubensauffassung. Sobald er gespürt hatte, dass wir ihn weder schlagen würden noch ihm irgendwe l ches zwielichtiges Zeug verabreichten, reduzierte sich sein anfängliches Mis s trauen spürbar . Was dann aber eben zur Folge hatte, dass er sich schnell wohl fühlte und begann, uns auf der Nase herumz u tanzen. “
„Warum er?“ Es ging Beth durch den Kopf, dass noch viele mehr diese Art von Z u wendung nötig hätten. Was also hatte Jérémie an sich, dass ausgerechnet ihm dieses Glück z u gute gekommen war .
„Nennen wir es e infac h eine göttliche Fügung. Hast du ihm schon einmal genau in die Augen sehen kö n nen?“
„Wem? Gott?“
„Nein , Kind, Jérémie !“
Die Röte der Verlegenheit schoss Beth blitzschnell in die Wangen. „Könnte man so s a gen.“
„ Du siehst aus , als hätte ich dich gefragt, ob du mit ihm geschlafen hä t test!“
Überrascht stellte Beth fest, dass Schwester Johanna ihren Bauch fes t hielt, weil sie vor Lachen sosehr geschüttelt wurde. „Kind, keine So r ge, das geht mich nun wirklich nichts an. Er liegt mir am Herzen und wenn ihn jemand verletzen könnte, geht mir das nahe, aber die Mutte r rolle habe ich nicht inne. Aber ich schätze, ich darf davon ausgehen , dass du den Grund seiner Seele auch schon ges e hen hast . Nonne hin oder her, wie hätte ich diesem Dackelblick wide r stehen sollen?“
Nun musste auch Beth Lächeln. Ehrfurcht vor einer Nonne war bestimmt nicht falsch, aber auch in dieser Kutte steckte im Ende f fekt nur eine Frau.
Diese Frage konnte Beth ohne Z ögern beantworten. „Ja, ich ko m me nicht umhin, dafür ein hohes Mass an Verständnis aufzubri n gen. Ich sag es mal so, wäre er auf der Titanic dabei gewesen, wäre sie nicht gesunken, denn die Eisberge hätten nicht mehr exi s tiert.“
„Scheint, als hätte der Herr Polizist Eindruck hinterla s sen.“
„Oh, nicht nur er! In der letzten Zeit wurde ich förmlich übe r schwemmt von Eindr ü cken. Eine Frage habe ich noch.“
„Nur zu.“
„Warum ging Jérémie am Ende zur Pol i zei?“
„Nun, eigentlich ist es ein Klassiker.
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