Wenn nur dein Lächeln bleibt
Küche zu verschwinden und mit einer geöffneten Piccoloflasche Rotkäppchensekt zurückzukommen.
»So, jetzt wird hier mal ein anderer Ton angeschlagen. Siehst du, Anja? Deine Eltern lieben das Leben, lieben dich und natürlich …« Er sah mich spitzbübisch an: »… einander.«
Ein kleiner zärtlicher Kuss, klingende Gläser – Anja machte ganz große Augen. Sie kaute auf ihrem Fäustchen herum, als wollte sie mitküssen.
»Und in dieser positiven Grundstimmung wird unser Kind aufwachsen«, verkündete Bernd feierlich, als er die Gläser auf den Tisch stellte und Anja und mich zärtlich umarmte. »Du hast die stärkste und tollste Mutti der ganzen Welt, kleines Mädchen. Weißt du eigentlich, welches Glück du hast?«
»Und den besten Vater!«, fügte ich hinzu. Verstohlen wischte ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel. Bernd lächelte und strich mir mit dem Daumen über das Gesicht.
Plötzlich war mir klar, dass uns nur die Kraft der Liebe weiterbringen würde. Jammern, Hadern, Schuld zuweisungen und Selbstmitleid – all das half uns nicht für fünf Pfennige. Und unserer Anja erst recht nicht. Dieser Moment der Zuversicht und des Annehmens unserer Situation setzte sich tief in meinem Unterbewusstsein fest.
Es kam eine schwere Zeit auf uns zu. Aber wir würden sie meistern.
8
V on da an war ich mit Anja allein.
Natürlich war ich gleich am nächsten Morgen wieder mit meinem Winzling zur Mütterberatungsstelle gegangen und hatte mich, so wie Bernd es mir geraten hatte, nicht einschüchtern lassen. Mit fester Stimme hatte ich noch einmal darauf hingewiesen, dass Anja nicht saugte, und mit genauso fester Stimme hatte die Kinderschwester mich belehrt, dass das gar nicht sein könne, da alle Kinder von Geburt an einen Saugreflex haben. Ich solle es einfach immer wieder versuchen, das Kind müsse sich erst an mich gewöhnen. Der Nächste bitte!
Diesmal leistete ich mir keine Tränen und keine Panikattacke mehr. Ich allein hatte die Verantwortung für Anja, und ich würde mich ihr stellen. Zu Hause angekommen, griff ich entschlossen zu einem Teelöffel, sterilisierte ihn und flößte meinem Kind auf diese Weise tröpfchenweise Nahrung ein.
Anja schluckte, wobei allerdings die Hälfte jeder Löffelmenge danebenging. Trotzdem gelang es mir, Anja auf diese Weise am Leben zu halten. Das Füttern dauerte eigentlich den ganzen Tag. Für Bernd hätte ich sowieso keine Zeit mehr gehabt. Einkaufen, das ja mit stundenlangem Schlangestehen verbunden war, kochen oder gar so etwas wie ein Eheleben waren zeitlich einfach nicht mehr drin. Für mich selbst kochte ich auch nicht.
Ich entwickelte einen fast trotzigen Ehrgeiz, mich perfekt um mein Kind zu kümmern. In der Apotheke besorgte ich mir sterile Tücher, sogar einen Mund schutz verwendete ich beim Füttern. Wenn meine klei ne Anja von der stundenlangen Prozedur erschöpft schlief, putzte ich die ganze Wohnung auf Hochglanz, damit sich auch kein Staubkörnchen in ihre Lunge verirrte. Wahrscheinlich wollte ich nachholen, was ich in den letzten sechs Wochen versäumt hatte, und meiner Anja zeigen, dass ich sie über alles liebte und mir nichts auf der Welt wichtiger war als ihr Wohlbefinden. Aber vielleicht wollte ich auch einfach nur keine Zeit zum Nachdenken haben.
War mit unserer Anja wirklich alles in Ordnung? Es WAR doch alles in Ordnung! Die Ärzte hatten mir ein »gesundes und wohlgenährtes« Töchterchen mitgegeben!
Sie saugte nicht, aber wir hatten eine Lösung gefunden. Sie entwickelte sich doch gut, oder? Natürlich schlief sie viel, aber das taten doch alle Babys in dem Alter!
Jeden Abend schrieb ich einen langen liebevollen Brief an Bernd, in dem ich ihm jedes noch so winzige Detail schilderte: »Unser süßes Mäuschen hat heute schon über eine halbe Stunde die Augen offen gehalten! Sie folgt mir mit ihren Blicken! Sie genießt meine Streicheleinheiten! Ich singe ihr jeden Morgen dasselbe Lied vor, und ich könnte schwören, sie erkennt die Melodie wieder! Sie reagiert, Bernd, sie lächelt mich an! Sie fuchtelt mit den Ärmchen! Sie freut sich, wenn ich ins Zimmer komme!«
Diese Briefe gaben auch Bernd Kraft und Halt. Er konnte uns nicht helfen, machte sich schreckliche Sorgen und überstand die Schikanen des Grundwehrdienstes nur mithilfe meiner positiven Meldungen. Sie zwangen ihn, durch den Matsch zu robben und mit der Zahnbürste die Heizungszwischenräume zu putzen. Sie brüllten ihn an und ließen ihn Liegestützen machen, wenn er morgens
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