Wenn nur dein Lächeln bleibt
knallte den Hörer auf. Meine Finger zitterten. Meine Mundwinkel auch.
Um Gottes willen. Was hatte ich da nur getan? In der DDR drohte man keiner Behörde. Nur umgekehrt. Mein Herz raste.
Welche Konsequenzen würde das für mich haben?
In dieser Sekunde quoll der feiste Heidemechels herein: »Na, schöne Frau? Noch immer fleißig bei der Arbeit?«
»O ja«, krächzte ich mit belegter Stimme und rang mir ein nervöses Lächeln ab. »Ich sprach gerade mit dem Institut für Brückenbau und musste mal ordentlich Dampf machen.«
»Klasse, Mädchen! Lassen Sie sich bloß nicht die Butter vom Brot nehmen.« Heidemechels tätschelte mir gönnerhaft die Schulter. »Und jetzt machen Se mal Pause. Sie sind ja ganz blass unter Ihrer Schminke.«
Die Einfuhrgenehmigung kam zwei Tage später. Na also. Man musste diesen Behörden einfach nur mal fest in den Hintern treten. Dass ich mich das inzwischen traute! Durch Anja war ich vom schüchternen Mädel zur starken Kämpferin geworden.
Mit diesem amtlichen Schrieb bewaffnet, trabte ich nach Dienstschluss zum Güterbahnhof. Eine ziem lich verlassene Gegend, eine ziemlich unheimliche Angelegenheit. Es war schon dunkel. Aber zum Fürch ten war ich viel zu aufgeregt. Der Rollstuhl war da! Ich musste ihn nur noch abholen! Ich stakste über die Gleise. Zweimal sprang ich hastig zur Seite, weil plötz lich eine Rangierlok nahte. Endlich fand ich einen Arbeiter in orangefarbenem Drillich. Er pikste mit einer Eisenstange herumliegenden Müll auf. Ein unsinniges Unterfangen, wie ich fand. Da konnte er noch zwei oder drei Leben dranhängen, wenn er den Müll dieses Güterbahnhofs ganz allein aufpiksen wollte.
»Entschuldigen Sie, wo finde ich einen zuständigen Mitarbeiter für Zollware?«
»Keene Ahnung, junge Frau. Ich würde an Ihrer Stelle hier nicht so rumspazieren. Das könnte gefährlich werden.«
MANN ! Ich will jetzt sofort meinen Rollstuhl!, dachte ich. Fast hätte ich den Kerl am Kragen gepackt.
Schließlich latschte der Grobschlächtige kopfschüttelnd vor mir her und brachte mich zu einem abgelegenen Bretterverschlag. Er war mit einem Vorhängeschloss gesichert.
»Hier drin liegt normalerweise die heiße Ware.« Verstohlen sah er sich um und legte einen Finger auf die Lippen. »Aber von mir ham Se ’s nich.« Mit diesen Worten stapfte er wieder davon.
Na gut. Wenigstens hatte er nicht Hand an mich gelegt. Ich rüttelte an der morschen Tür. Tja. Dort drin stand nun vermutlich unser lang ersehnter Rollstuhl. Aber wie drankommen? Ich trat gegen die Tür, fluchte, was das Zeug hielt, aber das Schloss gab nicht nach.
Plötzlich Schritte. Das Hecheln eines Schäferhunds. Das grelle Licht einer Taschenlampe.
»Sie! Sofort stehen bleiben! Was machen Sie da?«
Mir fiel das Herz fast aus dem Mund vor Schreck. O Gott. Jetzt würden sie mich einsperren, bei Wasser und Brot. Wegen versuchten Einbruchs in einen Bretterverschlag für »heiße Ware«.
Der uniformierte Bahnbeamte leuchtete mir ins Gesicht: »Sind Sie allein?«
»Ja. Bitte helfen Sie mir. Ich will nur den Rollstuhl für meine kleine Tochter abholen.« Mit zitternden Fingern wühlte ich in meiner Handtasche und hielt ihm sämtliche Genehmigungen und Bescheide unter die Nase. »Ich tue nichts Unrechtes.«
»Doch. Sie treten gegen eine Tür. Das ist Beschädigung von Staatseigentum.«
»Ich flehe Sie an …« Mein demütiges Lächeln schien den Mann milde zu stimmen.
»Na, dann lassen Sie uns mal schauen.« Großzügigerweise öffnete er das Vorhängeschloss und verschwand mit eingezogenem Kopf in dem Schuppen. Der Hund lief hechelnd hinterher, und ich stapfte ihm nach. Meine Knie schlotterten wie Espenlaub.
»Hier steht kein Rollstuhl.« Der Bahnbeamte ließ den Lichtkegel seiner Taschenlampe über sämtliche Kisten und Verpackungen gleiten. Über tolle Fahrräder, Motorräder, einen Konzertflügel und vielerlei wundersame Dinge mehr. Der Westen musste das reinste Paradies sein.
Warum moderten diese wertvollen Sachen bloß hier vor sich hin? Wie viele verzweifelte Bürger warteten schon monatelang auf die begehrten Güter?
»Das ist die ganze Zollware.« Der Beamte nahm seine Mütze ab und kratzte sich am Kopf. »Sehen Sie hier einen Rollstuhl?«
»Nein.« Mir wollte das Herz in die Hose sinken.
»Aber ich habe doch den schriftlichen Bescheid, dass der Rollstuhl da ist! Schon seit Wochen!«
»Hm.« Der Mann ging an Kisten und Schachteln entlang. »Seit Wochen, sagen Sie …« Er verschwand in einer dunklen
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