Wenn nur dein Lächeln bleibt
Entspannungszimmers aus, wo es allerdings nur kaltes Wasser gab. Dort säuberten wir auch unser Kind. Anja sah nach dem Essen nämlich immer aus wie ein Ferkel: Sämtliche Kleidung war bekleckert, das Kind selbst von oben bis unten voll mit bräunlichem Kartoffelbrei. Sogar in den Haaren hatte sie das köstliche Mahl. Und die Verdauung einer Vierjährigen ist auch um einiges deftiger als die eines Babys, erst recht bei einer so heftigen Hormonbehandlung. Ich sage das nur, damit man sich vorstellen kann, wie hoch unser täglicher Reinigungs- und Pflegeauf wand war. In unserem Plattenbau im dreizehnten Stock hatten wir uns ja längst arrangiert (dank Bernd hatten wir inzwischen sogar eine funktionierende Waschmaschine). Aber hier im Behindertenhotel musste man doch erst mal die Zähne zusammenbeißen …
Am nächsten Morgen kaufte ich im Ort sämtliche Scheuer- und Putzmittel auf. Leider gab es keine Gummihandschuhe in der Kaufhalle, und ich dachte besorgt an meine Allergie. Aber nach kaum sechs Stunden sah der Keller aus wie neu.
Der Besitzer staunte nicht schlecht: der Fußboden war grün und die Wände gelb! Die Badewanne war weiß! Damit hatte er nicht gerechnet.
»Jetzt müssen Sie nur noch warmes Wasser organisieren!«, freute er sich. »Und schon können Sie Ihr Kind baden!«
»Ja, wir hätten gern noch etwas Musik, und meine Frau nimmt eine Fußmassage«, sagte Bernd liebenswürdig. »Ich selbst brauche beim Baden eigentlich nur einen guten Cognac.«
» W o sind denn eigentlich die vielen medizinischen Betreuer und Behinderten-Therapeuten?« Bernd stand mit Anjas Spritze am Tresen der behindertengerechten Gaststätte und trommelte nervös mit den Fingern.
»Ich meine nur, weil wir als LAIEN ja nicht berechtigt sind, unserer Tochter die Hormonspritze zu geben. Uns reicht aber eigentlich schon die versprochene Krankenschwester.«
»Betreuer? Therapeuten? Krankenschwester? Die gibt’s hier nicht.«
»Sie machen Witze!«, sagte Bernd.
»Nein«, sagte der Behinderteneinrichtungs-Besitzer ungerührt.
»Und wo finden wir jetzt eine Krankenschwester?«
»Ach, das ist ganz einfach. Da gehen Sie …« Der freundliche Mann schob seinen dicken Bauch hinter dem Tresen hervor, trat aus der Tür und zeigte auf die waldige Hügellandschaft. »Erst vier Kilometer den Forstweg rauf, anschließend oben auf dem Kamm links halten, und dann sehen Sie schon den Wachturm … Aber Vorsicht, da nicht weitergehen. An dieser Stelle halten Sie sich scharf rechts und kürzen über so eine Schneise ab ins Dorf Winzelwerda. Das können Sie gar nicht verfehlen. Und da wohnt neben dem Friedhof, gleich das dritte Haus neben der Mauer, Schwester Berta. Die darf spritzen.«
»Tatsächlich!«, sagte Bernd.
Der Mann nickte zufrieden.
»Vielen Dank. Das haben Sie sehr verständlich erklärt«, sagte Bernd. Er hielt kurz inne und überlegte, ob es sich wohl lohnte, noch eine Zusatzfrage zu stellen. Ich sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. »Öffentliche Verkehrsmittel?«, fragte er schließlich keck.
»Die gibt’s hier nicht«, sagte der Mann.
»Nee, ist klar«, erwiderte Bernd. »Na, dann wollen wir mal.«
In der dritten Nacht bekam Anja mal wieder einen schrecklichen Krampfanfall. Sie röchelte und rang nach Luft, lief blau an. »Bernd!«, schrie ich in Panik. »So tu doch was!«
Bernd raste in seiner Pyjamaunterhose nach draußen auf die kopfsteingepflasterte Straße, wo ein einsames Telefonhäuschen stand. Der Behinderteneinrichtungsbesitzer würde sagen: »Da haben Sie aber Glück gehabt.«
Während ich die mit dem Tode ringende Anja in den Armen hielt, rief Bernd einen Notarzt. »Er kommt sofort!«, ließ er mich durchs offene Fenster wissen. Ich wiegte Anja und redete beruhigend auf sie ein. »Gleich kommt Hilfe, mein Mädchen, gleich können wir dich von deinem Krampfanfall befreien, gleich hast du es geschafft …« Mir liefen die Tränen nur so über die Wangen. Warum musste mein kleines Mädchen nur so leiden?
Unten zuckelte ein Trabi mit viel Lärm und Gestank über das Kopfsteinpflaster. Bernd winkte wie verrückt, doch das Gefährt bretterte an ihm vorbei. Bernd schrie. Da es nach ein Uhr nachts war und hier in diesem verschlafenen Kaff die Welt zu Ende war, konnte es sich nur um den langersehnten Notarzt handeln!
»Scheiße!«, brüllte Bernd. »Idiot!«
Weit hinten am Acker hörte ich den Trabi wenden. Bernd rannte aufgeregt darauf zu und riss die Tür auf, als ihm der Fahrer auch schon
Weitere Kostenlose Bücher