Wenn nur dein Lächeln bleibt
Ecke, und ich hörte ihn kramen. Der Hund schnüffelte begeistert an den modrigen Verpackungen.
»Also was hier seit MONATEN rumsteht, ist det hier!«
Keuchend wies der Beamte mit der Taschenlampe auf eine längliche Verpackung. »Da weeß keener, wat det is.«
Mein Blick zuckte über den Absender. Es war genau die Firma, die unseren Rollstuhl herstellte! Das Firmenlogo hätte ich blind aufzeichnen können!
»Das IST er!«, jubelte ich und wäre dem Bahnmenschen fast um den Hals gefallen.
»Det sieht aber nicht aus wie ein Rollstuhl!«, mäkelte er, packte aber bereitwillig mit an und zerrte das sperrige Paket mit mir nach draußen.
Ich tanzte begeistert durch den Matsch: »Ich hab ihn, ich hab ihn!«
Nach einigem Hin und Her ließ mich der Beamte schließlich mit der sperrigen Kiste allein.
Jetzt gab es für mich kein Halten mehr. Ich »lieh« mir einen herumstehenden Bollerwagen und stöckelte spätnachts durch die Straßen von Halle. Ich hatte meinen Rollstuhl.
15
Kurze Zeit später klingelte bei uns das Telefon. Die Dame vom Gesundheitsministerium war dran. Die, die ich so zusammengefaltet hatte. Als ich den Namen »Reinberg« und ihre näselnde Stimme hörte, brach mir sofort der Schweiß aus. Jetzt würde es Ärger geben. Schließlich hatte ich mir eigenmächtig eine Zollware aus der BRD angeeignet. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Innerlich schnallte ich mich schon mal an.
Zu meiner großen Überraschung flötete eine völlig veränderte Frau Reinberg jedoch Folgendes in den Hörer:
»Mit Ihrem Antrag stehen Sie bei uns automatisch auf der Liste für einen behindertengerechten Urlaub mit Kind! Naaaa? Freuen Sie sich?«
»Und wie!«, sagte ich trocken.
»Wir haben auch schon eine wunderschöne behindertengerechte Ferieneinrichtung im Harz für Sie gefunden. Ihr Mann darf auch mit.«
»Toll!«, sagte ich überwältigt.
»Wir haben sogar ganze zwei Wochen für Sie genehmigt. Schließlich muss sich die Mutti von einem behinderten Kind ja auch mal ausruhen, nicht wahr?«
»Was Sie nicht sagen.« War das ein Testanruf für die Stasi? Ich war völlig verunsichert. Das war doch eine Falle! »Ähm«, machte ich nur.
»Ja, jetzt wo Sie den Rollstuhl haben, sind Sie doch endlich mobil! Also auf in die Sommerfrische«, glucks te Frau Reinberg. »Dort sind auch noch andere nette Eltern mit behinderten Kindern! Und Betreuer und Therapeuten, damit sich die Muttis mal entspannen können. Und die Vatis natürlich auch!«
Sie meinte es ehrlich. Sie freute sich aufrichtig für uns. Vielleicht musste man diesen Leuten nur ab und zu mal gehörig Bescheid geben? Vielleicht waren sie von dem demütigen Getue der Leute genervt? Man kennt das ja von hartnäckigen Verehrern, die hinter einem herschleichen und einem nach dem Mund reden. Vor denen verliert man auch jeden Respekt!
»Unsere Anja bekommt allerdings zurzeit täglich Hormonspritzen«, wandte ich vorsichtig ein. »Und da ich sie ihr als LAIE nicht geben darf, müsste eine Krankenschwester vor Ort sein.«
»Aber natürlich!«, sagte Frau Reinberg fröhlich. »Medizinisch wird Ihre Anja rundum betreut! Das ist Standard bei dieser Einrichtung! Bringen Sie einfach die Ampullen mit, den Rest erledigen wir!«
Na so was. Ich war völlig überwältigt von diesem Angebot.
Bernd und ich könnten einfach mal wieder … Ganz sorglos miteinander … ähm … im WALD spazieren oder abends mal was essen gehen! Ein Glas Wein zusammen trinken, ohne angestarrt zu werden, ohne vor schlechtem Gewissen zu sterben, ohne aufspringen, das Kind absaugen oder ihm teelöffelweise Brei in den Mund schieben zu müssen. UNVORSTELLBAR ! Ich musste die Augen schließen, um mir auszumalen, dass wir wirklich zwei Wochen lang tun würden, was andere junge Ehepaare auch dürfen …
Ich seufzte glücklich.
Nun gut, Anjas Hormonbehandlung machte ihr und uns gerade ganz schön zu schaffen. Die täglichen Spritzen ließen sie aufquellen wie einen Pfannkuchen. Sie war dick und schwer geworden, und es hatte sich Schambehaarung entwickelt. Aber wir hatten schon so viel mitmachen müssen, dass die Vorfreude auf den Eltern-Kind-Urlaub im schönen Harz überwog.
Ein Freund von Bernd fuhr uns mit dem Auto hin. Wir hätten unmöglich mit Sack und Pack und Rollstuhl samt schwerer Anja mit dem Zug dorthin fahren können.
Auf der Autorückbank neben Anja sang ich die ganze Zeit. Wir fahren in Urlaub, wir fahren in Urlaub!
Anja lallte und sabberte, warf den Kopf hin und her, zeigte aber auch schon
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