Wenn nur dein Lächeln bleibt
an.«
»Ja, SIE vielleicht nicht. Aber UNS .« Bernd zeigte auf mich und Anja, die krumm auf seinem Schoß hing.
Ich hätte diesen herzlosen Staatsdiener gern angeschrien und ihm gesagt: Wir haben nämlich ein Kind, das sechzehn Kilo wiegt und in keinen Kinderwagen mehr passt. Tragen können wir es bald nicht mehr, aber zu Hause lassen auch nicht, da es (trotz geklauter Feuerwehrpumpe, aber das sagen wir Ihnen nicht, Sie Eierloch!) an krampfartigen Erstickungsanfällen leidet!
»Wir müssen unser Kind überallhin mitnehmen.« Bernd redete auf den Beamten ein wie auf einen Dreijährigen im Sandkasten.
Am Nachbartisch war inzwischen ein alter Mann zur Staatsdienerin vorgedrungen. Es folgte das übliche Prozedere: Name? Anliegen? Warum? Spinnen Sie? Wenn das jeder wollte? Nächster!
Er hatte Batterien für sein Hörgerät beantragt, die ebenfalls nur in der BRD zu bekommen waren. Was nützte dem Mann sein teures Hörgerät, auf das er vermutlich jahrelang gewartet hatte, wenn er keine Batterien dazu erhielt?
Doch sein Flehen stieß bei seinem Gegenüber auf taube Ohren. Obwohl die Dame gar nicht taub war. Sondern der arme Antragsteller.
Ich zuckte zusammen und versuchte, mich auf unser Anliegen zu konzentrieren.
»Ein mitwachsender Rollstuhl ist deshalb für unsere Tochter so wichtig, weil man sie darin professionell festschnallen kann und ihr Kopf durch das verstellbare Rückenteil gestützt wird.« Bernd wollte dem Mann alles genau demonstrieren und legte Anja dazu auf seinen Schreibtisch.
»Ja, spinnen Sie?«, bellte nun unser Staatsdiener. »Sie können Ihr Kind doch in einen Bollerwagen legen. Damit schonen Sie die sozialistische Staatskasse.«
Spinnen SIE ?, wollte ich rufen, sagte aber nur: »Wir sehen auch so schon asozial genug aus! Was meinen Sie, wie viel Spaß es macht, ständig angegafft zu werden?«
»Außerdem«, nahm Bernd den Faden auf, »hat dieser Rollstuhl auch einen Sitzkeil zwischen den Beinen, sodass das Kind nicht wegrutschen kann.«
»Wo kommen wir denn hin, wenn das jeder machen wollte? Einfach einen Westimport beantragen?«, sagte unser Sachbearbeiter schnaubend. »Und jetzt nehmen Sie Ihr Kind von meinem Schreibtisch!« Er machte eine Handbewegung, so als wollte er ein lästiges Tier verscheuchen. »Wir führen Krieg gegen den Kapitalismus und die westliche Überflussgesellschaft. Warum sollte die DDR ein solches Luxusmodell importieren und auch noch die Kosten dafür übernehmen? Nächster!«
Ich wollte fast schon handgreiflich werden, als mein neugieriger Blick am Nachbartisch etwas Interessantes wahrnahm: Der taube Rentner mit dem batterienlosen Hörgerät öffnete seine Aktentasche und schob wortlos eine Packung »Dallmayr prodomo«, ein paar Tafeln Milka-Schokolade, Lux-Seife und ein Paar Seidenstrumpfhosen der Marke » ELBEO « über den Tisch. Alles Produkte, die wir nur aus dem Westfernsehen kannten. Ebenso wortlos öffnete die Sachbearbeiterin ihre Schreibtischschublade, ließ alle diese Schätze darin verschwinden und knallte eine Packung Batterien auf den Tisch.
»Nächster!«
Mir blieb der Mund offen stehen.
Auch Bernd bemerkte den Vorfall und sagte nur gefährlich leise: »Darüber wird Meldung gemacht.«
Mein Bernd war wirklich der Letzte, der petzte. Er hatte dieses fiese Spiel des gegenseitigen Bespitzelns und Meldens nie mitgespielt. Aber für Anja wurde er unangenehm. Mir stellten sich Millionen Härchen auf, als ich ihn so erlebte. Seine Augen waren schmal wie die eines Raubtiers.
Die Hände des Staatsbeamten zitterten, als er zu einem Stempel auf seinem Schreibtisch griff und unseren Antrag genehmigte.
»Sie hören von uns, wenn der Rollstuhl eingetrof fen ist. Er ist im Voraus zu bezahlen.« Er wies mit dem Kinn in den Flur, wo sich eine lange Schlange Bezahlungswilliger vor einem Sicherheitsschalter drängte. »Natürlich in Westmark.«
»Haben wir«, sagte ich und nickte eifrig. Durch meinen Vater, der schon lange drüben lebte, verfügten wir über die heiß begehrten Devisen.
»Schreiben Sie an das Ministerium für Gesundheits wesen, das schickt Ihnen die Einfuhrgenehmigung.«
Er warf uns seinen abgestempelten Antrag hin und würdigte uns keines Blickes mehr.
»Nächster!«, bellte der Mann.
Wir standen noch zwei bis drei unterhaltsame Stündchen in der Devisen-Schlange, bezahlten dann dankbar die wertvollen Westmark und gingen nach Hause. Das Leben konnte so schön sein!
Noch am selben Abend schrieb ich ans Gesundheitsministerium und legte
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