Wenn nur dein Lächeln bleibt
die Regeln war.
17
»Frau Hädicke? Wir haben hier einen Notfall! Ihre Tochter hatte einen Erstickungsanfall, und wir haben die Rettung rufen müssen! Sie ist im Kinderkrankenhaus!«
Dieser Anruf erreichte mich in meinem Rapunzelturm, wo gerade mal wieder Freund Heidemechels mit einer Arschbacke auf meinem Schreibtisch saß, um zu kontrollieren, ob in meinem hübschen Köpfchen auch noch genügend Platz für berufliche Belange war. Ich ließ den Hörer fallen und rannte los. Noch nicht mal einen Mantel hatte ich mir geschnappt. Wenn Anja einen Erstickungsanfall hatte, ging es doch um Sekunden! Als ich endlich in der Klinik ankam, hatte man meine Anja schon gründlich untersucht.
»Sie ist knapp an einer Lungenentzündung vorbeigeschrammt«, teilte mir der Arzt mit sorgenvoller Miene mit. »Kein Wunder, bei den dauerhaft verschleimten Lungen dieses Kindes. Wir behalten Anja vorsichtshalber zur Beobachtung hier.«
Nein, schrie alles in mir. Nicht schon wieder ein Klinikaufenthalt! Gebt mir meine Tochter wieder!
»Darf ich sie sehen?«
»Jetzt ist leider keine Besuchszeit mehr.«
»Aber ich muss zu meinem Kind!« Am liebsten hätte ich dem Arzt mit beiden Fäusten auf die Brust getrommelt.
»Stellen Sie sich mit der Schwester auf der Station gut, dann lässt sich vielleicht etwas machen.«
Der Arzt rauschte von dannen, und ich kroch bei der Stationsschwester zu Kreuze.
»Aber nur ein paar Minuten!«, gab diese mir gnädigst die Erlaubnis, mein Kind zu sehen.
Anja lag in einem Gitterbettchen und kämpfte schon wieder mit dem Ersticken. Ja SAHEN das die Schwestern denn nicht? Sofort griff ich nach Zellstoff und säuberte sie, so gut es ging. Doch Anja kämpfte sichtlich mit dem Schleim, der sich sofort wieder gebildet hatte.
Energisch drückte ich auf die Notruftaste. »Schwester!«, rief ich vorwurfsvoll. »Sie müssen sie absaugen!«
»Was wir MÜSSEN , entscheiden immer noch wir, beziehungsweise der zuständige Arzt«, kanzelte mich die Schwester hochmütig ab.
»Aber so holen Sie doch endlich eine Absaugpumpe!«
»Die haben wir hier nicht.«
»Sie HABEN keine Absaugpumpe?«
»Natürlich haben wir eine. Aber die ist kaputt.«
»Dann holen Sie eine von einer anderen Station!«
»Dazu sind wir nicht befugt.«
»Aber mein Kind erstickt hier vor unseren Augen!«
»Das lassen Sie mal unsere Sorge sein. Wir sind hier das Fachpersonal, und die Besuchszeit ist um.«
» ICH weiß, was das Kind braucht, und zwar eine Absaugpumpe! Sie sind nicht BEFUGT ?!«
»Und SIE sind nicht befugt, uns hier Anweisungen zu geben. Die Besuchszeit ist lange um. Und IHRE auch!«
Die Kinderschwester würde mich jetzt nicht rausschmeißen. Auf gar keinen Fall! Ich wollte und konnte doch helfen! Ich war doch die Einzige, die wusste, wie man mit Anja umgehen muss!
»Ich gebe Ihnen eine Minute!«, schnarrte die Schwester. »Und dann sind Sie verschwunden!« Abrupt drehte sie sich um und ließ mich stehen.
»Ja, aber nicht ohne meine Tochter«, stieß ich zwischen den Zähnen hervor. Wild entschlossen nahm ich meine stöhnende Anja und wickelte sie in ihre Decke. Der Rollstuhl war ja nicht hier. Wie einen geklauten Teppich schmuggelte ich das Kind über den Notausgang hinunter in den Keller. Dort roch es nach Mangelwäsche und Scheuerpulver. Wenn ich jetzt erwischt wurde! Ich beging schon wieder eine Straftat: Auflehnung gegen die Staatsgewalt, Kindesentführung! Darauf stand mit Sicherheit Einzelhaft im Sicherheitstrakt. Egal. »Ich hole dich hier raus!«, beteuerte ich keuchend. Ich knickte mit dem Fuß um, mein Knöchel tat höllisch weh. Irgendwo fand ich eine Eisentür und warf mich dagegen. Wie durch ein Wunder ging sie auf. Ich befand mich in einer Art Garagenhof, watete durch Pfützen und an Mülltonnen vorbei zu meinem Auto.
Zu Hause benutzte ich erst mal unsere bewährte Feuerwehrpumpe. Anjas Lungenflügel waren wieder frei, endlich konnte sie ohne zu röcheln durchatmen. Nachdem ich sie versorgt hatte, fütterte ich sie mit ihrem Lieblingspudding und Sahne. Anschließend fiel mein Kind endlich in erlösenden Schlaf. Erschöpft ließ ich mich an der Wand zu Boden gleiten, saß da wie ein zitterndes Häufchen Elend und weinte hemmungslos. Ich war am Ende meiner Kräfte.
D och immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her: Die evangelische Stadtmission betrieb ein altes ehemaliges Kloster für Familien mit behinderten Kindern. Wie durch ein Wunder hatten wir eine zweiwöchige Kur
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