Wenn nur dein Lächeln bleibt
genehmigt bekommen. Dies hier war etwas anderes als die lächerliche Schmuddelpension. Man spürte förmlich die gute Energie, die von diesem Ort ausging. Im Hof rauschte eine riesige Eiche, die sicher hundertfünfzig Jahre alt war, und spendete angenehmen Schatten. Das gotische Kirchenschiff schmiegte sich an das denkmalgeschützte Klostergebäude. In einer Vitrine in der Eingangshalle war sogar noch das Gewand der letzten Äbtissin zu sehen. In dieser altehrwürdigen Umgebung waren wir erholungsbedürftigen Familien untergebracht! Hohe Decken, große Fenster, keine engen Treppenhäuser – im Gegenteil, viel Platz für Rollstühle. Es gab einen großen lichtdurchfluteten Speiseraum, in dem wir Frauen das Essen selbst zubereiteten. Viele der schwerbehinderten Kinder brauchten eine spezielle Kost; wir tauschten uns aus und schauten voneinander ab. Es gab einen großen gemütlichen Aufenthaltsraum mit Kamin, eine Bibliothek, ein Musikzimmer, in dem ein alter Flügel stand, und viele verschwiegene Erker, in die man sich mit einem guten Buch zurückziehen konnte. Das Beste war allerdings der große Gemüsegarten, in dem die Nonnen früher geerntet hatten, was Mutter Natur ihnen spendete: Früchte, Beeren, Salat, Gemüse und Kartoffeln. Wir taten es ihnen nach. Angrenzend an den überwucherten Zaun befand sich noch eine Augenweide dieses Klosters: Ein verwunschener Rosengar ten, in dem es wundervoll duftete und in dem die Vögel zwitscherten. Hier trafen wir Eltern uns während der Mittagsruhe unserer Kinder oft zu einem Gespräch oder einfach nur, um ein Mittagsschläfchen in einer der rosenumrankten Lauben zu halten. Die Seeele baumeln lassen! Diesen Satz hatte ich zwar schon gehört, mir aber nicht im Mindesten vorstellen können, was er bedeutet!
Es war das reinste Paradies!
Hier wurden nicht nur unsere Kinder liebevoll therapiert und betreut, nein, auch wir Eltern fanden überall ein aufmerksames Ohr und eine helfende Hand. Was wir auch noch fanden, waren Freunde.
Niemand, der kein behindertes Kind hat, kann sich wirklich in uns hineinversetzen. Wir werden bemitleidet, bedauert, oft aber auch gemieden. Familien mit »normalen« Kindern finden zu uns keinen Draht. Viele können nicht verstehen, wie man trotzdem so lebensfroh und offen sein kann: Ganz einfach, weil man so dankbar für Kleinigkeiten ist, die andere selbstverständlich finden. Doch hier im Kloster waren wir unter unseresgleichen. Es waren wunderbare, herzenswarme, geduldige und humorvolle Menschen, die wir hier kennenlernten. Es wurde gelacht und gesungen, erzählt und gebastelt, und wir unternahmen mit unseren Kindern Ausflüge in die herrliche Umgebung.
Einmal schlenderten wir mit unserer neuen Freundin Elke und deren behindertem Sohn Gerald durch die Fußgängerzone der benachbarten Kleinstadt. Ich selbst hatte die Gunst des Augenblicks genutzt und war kurz in einem Bekleidungsgeschäft verschwunden. Bernd und Elke liefen mit je einem Rollstuhl vor und unterhielten sich angeregt. Als ich ihnen dann mit meiner Einkaufstüte hinterhereilte, konnte ich hören, was die Passanten sagten:
»Unglaublich, was, Heinz? Wie kann dieser Mann sich mit dieser Frau noch ein zweites Kind antun? Die mussten doch davon AUSGEHEN , dass es genauso bekloppt wird wie das erste!«
»Das nenne ich mutig!«, sagte eine Frau zu ihrer Begleiterin.
»Die geben einfach nicht auf.«
»Vielleicht klappt’s beim Dritten«, orakelte die andere zynisch. »So ignorant wie die sind, haben die bestimmt immer noch Sex.«
»Hast du das gesehen? Gleich zwei!«
»Schöne Bescherung!«
»Die Armen! Die sind aber wirklich vom Schicksal geschlagen!«
»Verantwortungslos! Und der Staat bezahlt die Rechnung!«
Ich war viel zu gut drauf an diesem Tag, um mich über diese Bemerkungen zu ärgern. Im Gegenteil! Wir machten uns einen Spaß daraus, die Leute glauben zu lassen, Elke und Bernd würden ihre zwei behinderten Kinder durch die Gegend schieben. Ich blieb absichtlich zurück und hörte mir weitere Kommentare an:
»Die haben wohl noch nie was von der Pille gehört«, sagte eine Frau kichernd, die sich bei ihrem Mann eingehängt hatte und an ihrem Eis leckte.
»Ach was!«, sagte der Mann, der rauchte. »Bei den Scheiß-Erbanlagen hilft auch die Pille nichts. Ich sage nur: einfach bleiben lassen!«
So fröhlich und gelöst, so übermütig und unternehmungslustig waren wir schon lange nicht mehr gewesen.
Da auch dieses Kurgebiet mitsamt dem herrlichen Kloster nahe der Grenze zum
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