Wenn nur dein Lächeln bleibt
erledigte die Formalitäten, erklärte, dass es sich bei seiner behinderten Tochter wohl um eine schmerzhafte Fistel handele – der Zahnarzt möge doch bitte nur schnell einen Blick darauf werfen, es reiche, wenn er eine Salbe verschreibe.
»Wir lassen uns hier keine Vorschriften machen, und Sie warten, bis Sie dran sind.« Das kleine Glasfenster wurde energisch zugeklappt. Ich seufzte ergeben. Okay, dann also eine Nacht in der Zahnklinik. Kann ja auch gemütlich werden. Bernd nahm Anja auf den Schoß, und wir wurden angestarrt wie immer. Stundenlang harrten wir dort aus. Bernds Beine waren längst eingeschlafen, als wir endlich, endlich aufgerufen wurden. »Anja Hädicke, Behandlungsraum drei!«
Bernd schwankte richtig, ich musste ihn stützen, während wir Anja ins Behandlungszimmer schleppten und sie sanft auf den Untersuchungsstuhl legten. Ihre Augen waren ängstlich geweitet, der seltsame Geruch und das blendende Licht flößten ihr Unbehagen ein. Von nebenan hörte man Schmerzensschreie und das Surren eines Bohrers. Anja stieß panische Laute aus. »Ist ja gut, mein Schatz, der Doktor kann dir helfen. Gleich ist alles überstanden.«
Endlich kam der Zahnarzt, der nächtlichen Not dienst hatte, herein. Es war ein junger Mann, der einen übermüdeten und gereizten Eindruck machte.
»Wen haben wir denn hier!«
»Das ist Anja. Sie ist sieben Jahre alt und hat höchst wahrscheinlich eine Fistel im Zahnfleisch, hier …«, erklärte Bernd hilfsbereit, als der Arzt ihn rüde unterbrach.
»Sie halten sich da raus! Stellen Sie sich da hinten an die Wand.«
»Aber sie wird herunterfallen.« Automatisch streck te ich den Arm aus.
»An die WAND ! Das gilt auch für SIE !«
Er zog die Deckenlampe herunter: »So, jetzt mach mal den Mund auf.«
Anja riss panisch die Augen auf und krampfte.
» MUND AUF, HABE ICH GESAGT !«
»Sie kann den Mund nicht öffnen.«
»Dann tun SIE es! Aber schnell! Ich habe keine Zeit für solche Mätzchen!«
Bernd sprang herbei und öffnete Anjas Mund, während ich ihre Hand hielt. Beruhigend streichelte ich dem geschockten kleinen Mädchen über die Wange. »Gleich haben wir es geschafft, Anja. Du bist ganz tapfer.«
»Das ist ja ein völlig desolates Gebiss«, kommentierte der Arzt kopfschüttelnd. »Die Zähne stehen ja wie Kraut und Rüben.«
»Es geht uns heute nur um diese Fistel …«
»Aha! SIE machen hier den Behandlungsplan oder was?«
»Wir bräuchten bitte nur eine schmerzlindernde und entzündungshemmende Salbe, damit sie heute Nacht nicht leiden muss.«
»Die arbeitet ja gar nicht mit!«, empörte sich der Zahnarzt. »So kann ich die Kleine aber nicht be handeln.«
»Wenn Sie uns bitte nur ein Rezept …«
»Also DAS hier ist überhaupt nicht mein Ressort«, schnaubte der Arzt und schob die Lampe wieder nach oben. »Die kreischt und krampft … Die behandle ich nur mit Vollnarkose.«
»Aber es ist doch bloß eine Fistel.«
»Und für eine Vollnarkose brauchen Sie ein Narkosetauglichkeitsgutachten.« Der Arzt wusch sich bereits die Hände. Für ihn war die Angelegenheit erledigt. »Nächster!«, brüllte er in den Flur hi naus.
»Aber Anja braucht doch jetzt Hilfe.«
»Es gibt eine Behindertenklinik, die kümmert sich auch um solche Fälle.« Der Arzt wies mit dem Kinn auf Anja. »Die Klinik ist dreißig Kilometer von hier entfernt, lassen Sie sich dort einen Termin geben.« Er war bereits in der Tür. »Das Gebiss gehört generalüberholt, und das machen auch die nur mit Vollnarkose.« Die Tür fiel hinter ihm zu.
Na toll! Wir waren seit vier Stunden hier, es war mitten in der Nacht, Anja litt und wimmerte, und der Arzt hatte uns kein bisschen geholfen.
Wir waren an diese Demütigungen und Schikanen schon so gewöhnt, dass wir einfach nur mit stoischen Mienen unseren Kram packten und wieder nach Hause fuhren.
Aber auf dem Rückweg hielten wir noch kurz an einer Notapotheke. »Man kann es ja wenigstens mal versuchen!«, sagte Bernd. »Wenn es ein Apotheker ist, gehst du. Bei einer Frau gehe ich.«
Wir starrten durch das erleuchtete Fenster hinein. Es war eine junge Frau mit Brille.
»Dein Auftritt.«
Bernd streckte seinen hübschen Kopf durch die Luke, erklärte der reizenden Apothekerin die Sache mit der Fistel und erhielt – ganz problemlos und ohne Rezept – die gewünschte Salbe.
Am nächsten Tag vereinbarten wir einen Termin in der Behindertenzahnklinik. Er wurde uns drei Monate später gewährt.
Bernd und ich nahmen uns beide einen Tag
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