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Wenn nur dein Lächeln bleibt

Wenn nur dein Lächeln bleibt

Titel: Wenn nur dein Lächeln bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Lind
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würgte Galle. Tausend Punkte tanzten vor meinen Augen.
    Die Arzthelferin flößte mir das Wasser ein und fühlte meinen Puls.
    »Nun reißen Sie sich mal zusammen, Frau Hädi cke, und sehen Sie den Tatsachen ins Auge.«
    Die schneidende Stimme kam von irgendwoher und hallte in diesem weiß gekachelten Zimmer wider.
    »Wenn Sie Sabines Schädel nicht öffnen lassen, wird der Kopf nicht mehr wachsen. Aber das Gehirn wächst weiter und findet keinen Platz mehr.« Ihre Stimme klang schroff. »Das hat dann zur Folge, dass sie entweder einen Wasserkopf bekommt oder erblindet oder verblödet«, gab mir die Arztin den Rest.
    Ich hielt mir beide Ohren zu.
    »Und dann wird sie elend zugrunde gehen. Wollen Sie das?«
    Zu Hause fand mich Bernd zusammengekauert auf dem Fußboden wieder. Beide Kinder schrien. Ich war völlig apathisch.
    »Hee, Liebes, wirst du mir krank?« Bernd zog mich hoch und nahm mich in die Arme.
    Schluchzend erzählte ich ihm von der Diagnose der Kinderärztin. In der Hand hielt ich immer noch die zusammengeknüllte Überweisung ins städtische Krankenhaus.
    »Das ist die Klinik, in der du Anja bekommen hast.« Bernd war aschfahl im Gesicht. Zum ersten Mal verließ auch ihn der Mut. »Da wolltest du doch nie wieder hin!«
    »Nein!«, wimmerte ich. »Aber sie sagen, es ist die einzige in der Stadt, die mit den entsprechenden Geräten ausgestattet ist! Und wenn wir Sabine nicht operieren lassen, wird sie elendiglich zugrunde gehen!«
    »Auch Ärzte können irren«, versuchte Bernd mich zu trösten. »Ich meine, bei Anja haben sie sich andauernd geirrt! Schon bei ihrer Geburt haben sie Mist gebaut! Das SIND keine Götter in Weiß!«
    Ich sah ihn aus völlig verweinten Augen an. »Und ob sie das sind! Vor allem im städtischen Krankenhaus.«
    Plötzlich sah ich Bernds Schultern beben. Ich hatte ihn noch nie weinen sehen! Nur einmal, vor lauter Freude. Als ich ihm Sabine gesund und normal als Weihnachtsgeschenk in die Arme gelegt hatte. Doch nun wimmerte er wie ein verwundetes Tier. So viel Elend konnte selbst er nicht verkraften.
    Wir hatten uns oft gefragt, warum ausgerechnet wir ein so schwerbehindertes Kind haben mussten, und ich muss an dieser Stelle zugeben: Es gab Momente, in denen ich in blinder Verzweiflung mit Anja im Kinderwagen die Straße überquert habe, ohne vorher nach links und nach rechts zu schauen. Wenn es uns erwischen sollte, dann sollte es uns eben er wischen!
    Aber nach Sabines Geburt hatte ich nie wieder solche Verzweiflungsanfälle gehabt. Ich hatte nie wieder mit dem Leben gehadert und gefragt: »Warum ausgerechnet ich?«
    Doch jetzt überrollte mich die Hoffnungslosigkeit wie eine Lawine. Ich sah die Wände der Wohnung auf mich zukommen, die Decke über mir zusammenbrechen. Wir würden jetzt alle vier sterben. Das wäre das Beste für uns. Mein Kopf war leer. Für uns gab es keine Zukunft mehr.
    »Bernd!«, flüsterte ich in die Dunkelheit hinein. »Wir nehmen jetzt jeder ein Kind und gehen zur S-Bahn. Und wenn sie kommt, dann werfen wir uns davor.«
    Wir saßen jetzt beide auf der Erde, jeder von uns hatte ein Kind im Arm, und wir weinten alle vier.
    D en Gang nach Canossa traten wir am nächsten Morgen trotzdem an. Als ich vor der Klinik stand, in der mein Schicksal seinen Lauf genommen hatte, verkrampfte ich mich am ganzen Körper. Ich fror und schwitzte gleichzeitig. Das abweisende Kachelgrün, die vergitterten Fenster, der vertrocknete einzige Baum auf dem Parkplatz, der Abgasgestank von der benachbarten Tankstelle – all das rief böse Erinnerungen in mir wach. Mit den schlimmsten Befürchtungen betraten wir die graue Empfangshalle, in der Genosse Honecker säuerlich auf uns herablächelte, schoben un sere Kinderwagen durch die kalten Gänge und meldeten uns auf der Kinderstation zum Ultraschall und zum Röntgen an.
    Der diensthabende Arzt war ein wortkarger, langer dünner Mann um die dreißig, also in unserem Alter. Sein Name war Volker Dirks.
    Er untersuchte Sabine schweigend, seine Miene verriet keinerlei Gefühlsregung. Vielleicht war er mit den Gedanken gar nicht richtig bei der Sache?
    Schließlich kam er mit den Röntgenbildern zu uns und hängte sie vor eine Lichtleiste. »Hier, sehen Sie …« Sein dünner langer Finger glitt über Sabines winziges Köpfchen. »Hier kann sich das Gehirn nicht mehr ausbreiten, da hat die Kollegin Böhm ganz recht. Ihre Kleine wird entsetzliche Kopfschmerzen bekommen, das Gehirn wird auf den Sehnerv drücken, und Sabine wird erblinden

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