Wenn nur dein Lächeln bleibt
aneinander gewöhnt. Sabine krabbelte auf Anja herum, brabbelte ihr etwas vor und warf ihr einladend Kuscheltiere ins Gesicht. Sie schlug mit ihren Patschhändchen auf Anja ein, als wollte sie sagen: »Los, spiel mit mir, bespaße mich, ich brauche Entertainment!« In Wirklichkeit war es genau andersherum: Schon bald bespaßte Sabine Anja! Diese jauchzte und lachte, sobald sie ihre kleine Schwester spürte.
Ich genoss es, meinen beiden Süßen dabei zuzusehen.
Dennoch: So sehr ich mich auch über Sabines Fortschritte freute, umso bewusster wurde mir, was Anja nie gelernt hatte und niemals lernen würde. Und das alles nur, weil in dieser fürchterlichen Klinik dieser folgenschwere Fehler gemacht worden war! Dieser Fehler, zu dem keiner stehen wollte. Anjas Geburtsakte war wie von Geisterhand verschwunden. Hatte darin gestanden: »Kein SED -Mitglied«? Immer und immer wieder fragte ich mich, warum sie uns das angetan hatten. Als ich wieder mal darüber nachdachte, meine Stirn an die kühle Fensterscheibe gelehnt, drehte Bernd mich zu sich herum. Sanft wischte er mir die Tränen ab.
»Warum so traurig, schöne Frau?«
»Wenn ich Sabine so sehe und mir vorstelle, dass Anja genauso hätte …«
»Hätte, könnte, würde«, sagte Bernd leise. »So ist es aber nicht. Das haben wir doch alles schon tausendmal besprochen.«
»Warum gerade wir?«
»Ich weiß es auch nicht, mein Herz«, sagte Bernd seufzend. »Glaub mir, auch für mich ist es nicht immer leicht, damit umzugehen. Aber wenn ich bloß zurückschaue und nach dem Warum frage, habe ich gar keine Kraft mehr für das Hier und Jetzt!«
»Du sagst immer so kluge Sachen.«
»Jetzt schau dir das Hier und Jetzt doch mal an!«
Bernd bückte sich zu seinen Töchtern hinab, um sie mit einem Kuss zu begrüßen. Anja lag in ihrer Sitzschale, und Sabine robbte in ihrem Laufstall herum.
»Wieso ist Sabine denn so vollgeschmiert?«
»Ich weiß nicht, ich habe aus dem Fenster geschaut …«
Bernd hob Sabine aus dem Laufstall. »Was hast du denn da, kleines Fräulein? Ist das etwa … Schokolade?«
»Ich hatte sie auf den Tisch gelegt.«
Überrascht schaute ich mein verschmiertes Töchterchen an. »Sie muss danach gegriffen haben!«
»Und wie soll sie das angestellt haben? Der Tisch ist doch viel zu hoch! Sie kann doch noch nicht stehen!«
Bernd trug unser Töchterchen ins Bad und wusch ihr das Gesicht. Während er sie von ihrem schmutzigen Strampler befreite, flößte ich Anja etwas flüssigen Kakao ein. Nie, niemals würde Anja nach einem Stück Schokolade greifen, es in den Mund stecken und daran lutschen können.
»Ach, Bernd!«, seufzte ich. »Was wird die Zukunft nur bringen?«
»Du sollst weder zurück noch nach vorn schauen!«, rief Bernd tadelnd aus dem Badezimmer. »Konzentrier dich ganz auf das Hier und Jetzt. Sonst kannst du dir gleich einen Strick nehmen.«
Das war zwar sehr drastisch ausgedrückt, doch er hatte recht: Weder das Hadern mit der Vergangenheit noch die Angst vor der Zukunft brachten mich weiter. Im Gegenteil. Das raubte mir nur Energie. Und die brauchte ich tatsächlich für das Hier und Jetzt.
Bernd setzte Sabine wieder in den Laufstall und machte sich im Bad an der Waschmaschine zu schaffen. Plötzlich sah ich, dass Sabine im Laufstall auf wackeligen Beinchen stand! Sie klammerte sich mit einer Hand am Gitter fest und machte mit der anderen Greifbewegungen! Sie suchte die Schokolade!
»Bernd!«, rief ich vorwurfsvoll nach nebenan. Wenn du sie schon hinstellst, musst du auch dabeibleiben, um sie aufzufangen! Sie kippt doch um!«
»Ich habe sie nicht hingestellt!« Bernds verstrubbelter Kopf erschien in der Badezimmertür. »Ich habe sie hingesetzt!«
Verblüfft schauten wir auf Sabine, die wie ein kleines Äffchen hinter den Gitterstäben stand und uns schokoladeverschmiert anstrahlte.
»Lada!«, teilte sie uns zufrieden mit.
»O nein! Ich habe sie doch gerade sauber ge macht!«, rief Bernd.
Mir liefen schon wieder Tränen über die Wangen.
»Warum heulst du denn? Es ist doch nur Schokolade!«
»Sie hat Schokolade gesagt!«
»Na ja, so ähnlich.«
»Sie ist von allein aufgestanden!«, schluchzte ich. »Und sie hat nach der Schokolade gegriffen! Allein! Sie hat sie sich in den Mund gesteckt!«
»Ja, wohin auch sonst!«, sagte Bernd und fischte unser Töchterchen ein zweites Mal aus dem Laufstall. Grinsend hielt er mir das kleine Leckermaul hin. »Diesmal machst du sie sauber!«
Als Sabine ihre erste Geburtstagskerze
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