Wenn nur dein Lächeln bleibt
bekommen, dann haben Sie hier meine private Telefonnummer.« Dr. Wolf kritzelte etwas auf seinen Rezeptblock, das erstmals keine neue Tablettenverschreibung war. »Ich bin Tag und Nacht für Sie da.«
Wir haben Doktor Wolf nie angerufen und ihn nie wiedergesehen.
21
Dafür saß ich bald wieder vor einer Kinderärztin der Mütterberatungsstelle. Diesmal ging es jedoch um Sabine. Sie war jetzt vier Monate alt, und alles war bestens. Aber ich musste mit ihr zur Routineuntersuchung, denn das war Pflicht in der DDR .
Frau Dr. Böhm hatte ihre wasserstoffblonde Dauer welle mit einer rosa Plastikspange gebändigt, war reichlich grell geschminkt und von einer Parfüm wolke umgeben, die mir jetzt schon das Wasser in die Augen trieb.
»Na, Frau Hädicke? Wie geht’s?« Ihre Hand war kühl.
Die Ärztin legte mein quietschfideles Mäuschen auf die Waage, notierte die Werte und machte sich dann mit einem Maßband an ihr zu schaffen. »Gewicht stimmt, Größe stimmt«, diktierte sie ihrer Arzthelferin. »Alles im Bereich der Norm, tragen Sie das in den Babykalender ein. Und jetzt noch den Kopfumfang … können Sie das Köpfchen kurz gerade halten? Huch, was ist denn das?« Sie knetete an Sabines Hinterkopf herum, als suchte sie etwas.
»Hat sie Läuse?«, fragte ich spaßeshalber.
»Ihre Fontanelle ist schon vollständig geschlossen.«
»Das ist doch sicher prima, oder?« Ich schluckte nervös.
Die Arzthelferin schaute auf. In ihrem Blick lag das blanke Entsetzen.
»Sie darf sich erst nach dem ersten Lebensjahr schließen«, erklärte Frau Dr. Böhm. Ihr Gesicht war plötzlich aschfahl unter der Schminke. »Das ist viel zu früh für die Norm!«
»Ja und?«, stieß ich hervor. »Diesmal hab ich ein Kind, das sich schneller entwickelt. Nein? Nicht?«
Der Blick in die Gesichter der beiden weißbekittelten Damen ließ mich erschaudern. Es gab keine guten Nachrichten, wurde mir plötzlich klar. Keinen Silberstreif am Horizont. Nicht für mich, Angela Hädicke. Verunsichert trat ich einen Schritt zurück, suchte Halt an der Wand.
»Schauen Sie, Frau Hädicke: Hier in diesem kleinen Köpfchen befindet sich das Gehirn.«
»Ja.« Ich schluckte. Bitte sag jetzt nicht, dass Sabine keines hat!, flehte ich innerlich. Hilflos starrte ich auf Sabines Hinterkopf.
»Das Gehirn will noch wachsen. Aber da die Schä deldecke schon geschlossen ist, kann es das nicht mehr. Das Gehirn weiß später gar nicht mehr, wo es hin soll.«
Halt suchend klammerte ich mich an den kalten Heizkörper. »Und das heißt …?« Panik stieg in mir auf.
War die noch ganz dicht? Was erzählte die mir denn da für einen Blödsinn! Ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Zu gern hätte ich sie gefragt, ob ihr Gehirn eigentlich noch wisse, wo es hin solle. Vielleicht trug sie es irgendwo locker drapiert unter ihrer Dauerwelle?
»Sabines Schädeldecke muss geöffnet werden«, sagte Frau Dr. Böhm schneidend. »Das wird eine schwierige Kopfoperation. Die kann lebensbedrohlich sein.«
Ich holte tief Luft. Nein. Das hatte ich bestimmt falsch verstanden. Sie redete von einem ganz anderen Kind. Sie hatte die Unterlagen vertauscht. Sabine war kerngesund.
»Reden Sie von MEINEM Kind?«
»Ja! Fühlen Sie doch mal!« Ihre Stimme klang irgendwie nüchtern, was mich erschreckte. Freute sie sich etwa über ihre Diagnose? Rechthaberisch griff sie nach meinen Fingern und führte sie an Sabines weiches Köpfchen. Es stimmte: Die Fontanelle war bereits geschlossen.
Mir war, als hätte man mir einen Magenschwinger versetzt. Nun knickten mir auch noch die Beine weg. Ich war einfach zu erschöpft, um solch einen Albtraum erneut durchzustehen.
Hastig schob mir die Helferin einen Stuhl hin. »Möchten Sie ein Glas Wasser?« Sie machte einen Schritt zur Wand und holte welches aus dem Hahn.
Meine Finger zitterten so sehr, dass ich das Glas nicht halten konnte. Es glitt mir aus der Hand.
»Meinem Baby wird bestimmt nicht der Kopf aufgemeißelt«, wimmerte ich mit letzter Kraft.
»Es KANN auch gut gehen!«, sagte Frau Dr. Böhm. »Unsere Spezialisten in der Klinik sind da technisch schon sehr weit.«
Na, was die Qualität unserer Ärzte und Kliniken anging, hatte ich inzwischen so meine Zweifel. Aber ich hütete mich, sie zu äußern.
»Sabine muss dann nach der Operation noch zwei Jahre lang einen Helm tragen. Aber mit etwas Glück wird die Schädeldecke wieder zuwachsen.«
» NEIN !« War ich das, die da gerade so geschrien hatte?
Mir wurde schlecht. Ich
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