Wenn nur dein Lächeln bleibt
Ernst! Sie muss sich eines Tages abnabeln. Und vielleicht will sie das auch!«
Ich ging vor Anja in die Hocke: »Anja, WILLST du mit auf diese Klassenfahrt?«
Anja jauchzte und quietschte, verdrehte die Augen und riss den Mund auf.
»Na also. Das bedeutet ja.«
»Aber weißt du auch, wie lang eine Woche ist?« Seufzend gab ich mein Einverständnis.
Bernd fuhr Anja mit Sack und Pack in die Ferieneinrichtung. Sie benötigte ja so viele Hilfsmittel, dass wir sie nicht einfach mit den anderen Kindern in den Bus setzen konnten.
Nach drei Tagen kam eine Ansichtskarte, eine Betreuerin hatte sie geschrieben. Darauf stand, dass es Anja sehr gut gehe. Ich las diese Karte mindestens fünfzig Mal.
»Bernd, jetzt drehe ich noch völlig durch. Ich sehne mich so nach unserem Baby!«
»Nun genieß doch die erste freie Woche seit fünfzehn Jahren! Geh bummeln, geh shoppen, geh unser Westgeld verschleudern!«
Bernd war schon wieder für neue Kunden unterwegs, sodass er mir nur am Telefon Mut zusprechen konnte.
Doch ich saß zu Hause auf dem Anja-Sofa und konnte mit dieser ungewohnten Freizeit überhaupt nichts anfangen!
Einfach so in den Tag hineinleben? Mit nur einem unkomplizierten, selbstständigen Schulkind namens Sabine und dem bisschen Haushalt? Das war doch NICHTS !
Meine innere Uhr war ganz auf Anjas Lebensrhythmus eingestellt: Fünf Uhr wecken, waschen, anziehen. Sechs Uhr füttern, Obst pürieren, Joghurt und Milch einflößen. Halb sieben, Anja zur Einrichtung bringen. Und nachmittags alles wieder von vorn, nur in umgekehrter Reihenfolge: Anja von der Schule holen, aus dem Rollstuhl heben, windeln, waschen, mit ihr herumalbern, schmusen, trinken, essen, Obst oder Süßigkeiten. Sie dann ins Bett bringen, die Spieluhr aufziehen, singen, streicheln, trösten.
Vor Müdigkeit tot umfallen.
Als Anja nach Hause kam, stand ich schon seit einer Stunde wartend, in der Einfahrt.
»Wie war es, Kind wie war es?«
Bernd und ich konnten das zappelnde Bündel kaum halten, so sehr versuchte Anja, uns zu erzählen, wo sie gewesen war, was sie erlebt und gefühlt hatte.
Ich fragte ihr Löcher in den Bauch, und sie antwortete mit der uns vertrauten Mimik und Gestik. Was ich daraus entnehmen konnte, war Folgendes:
»Ja, Mama. Es war toll, und es hat Spaß gemacht. Alle waren superlieb zu mir, und ich will jetzt jedes Jahr auf Klassenfahrt.«
Mit der Wiedervereinigung gab es noch eine positive Wende: Die Versorgung mit Hilfsmitteln, Rollstühlen usw. war jetzt sichergestellt. All das gehörte auf einmal zum Standard. Ich konnte es gar nicht fassen.
Und damit nicht genug: Anja wurde jetzt morgens von einem Transportunternehmen abgeholt und nachmittags pünktlich wieder abgeliefert.
Dadurch gewannen wir wertvolle Zeit, die ich für Besorgungen nutzen konnte.
Anjas »mitwachsender« Kinderrollstuhl hatte nun auch ausgedient. Anjas Wirbelsäule war durch das lange Liegen verkrümmt. Und zwar so sehr, dass sie in einem normalen Rollstuhl nicht mehr sitzen kann. Wir ließen eine Sonderanfertigung machen, samt einer Sitzschale, die weitere Fehlbildungen verhindern sollte. Da Anja sich aber gerade in einer Wachstumsphase befand, mussten wir schon kurze Zeit später wieder einen neuen Rollstuhl beantragen. Den wir aber anstandslos von der Krankenkasse genehmigt bekamen.
Dennoch stießen wir auch hier wieder mal auf Inkompetenz, Arroganz und Unverständnis. Die Firma Wehrlein galt bei uns als angesagter Rollstuhlbauer, und da die Genehmigung der Krankenkasse mit »Wehrlein« verbunden war, vertrauten wir Herrn Wehrlein. Er hatte an Anjas Körper genau Maß genommen und gesagt: »Verlassen Sie sich auf mich, Frau Hädicke, wir sind die gefragtesten Spezialisten weit und breit. Wir sind zwar teuer, aber gut.«
Der Rollstuhl wurde dann geliefert, er bestand aus tausend Einzelteilen, die Bernd mühsam zusammenbaute. »Auf diese Weise können Sie den Rollstuhl dem Wachstum Ihrer Tochter immer wieder neu anpassen!«, hatte Herr Wehrlein versprochen. Doch was dann vor uns stand, war eine einzige Katastrophe: Nichts passte, noch nicht einmal die Sitzfläche stimmte, geschweige denn die Vorrichtungen, die Anjas Kopf sichern sollten.
»Wieso hat das Ding nur rechts eine Kopfpelotte?«, ärgerte sich Bernd. »Ihr Kopf kippt doch auch nach links!«
»Ja, und auch nur eine Seitenpelotte!«, ereiferte ich mich. »Abgesehen davon, dass das Ding grauenvoll aussieht: Sollen wir Anja immer nur auf einer Seite abstützen? Die liegt sich ja
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