Wenn nur noch Asche bleibt
surrealen Museums. Der kalte Hauch der Todesangst verwandelte sich in etwas, das nicht in die Wirklichkeit passte. So musste man sich fühlen, wenn man die Gefangene eines Goya-Gemäldes war.
„Hier!“
Daniels Stimme hallte vom Nebenzimmer durch das Haus. Elena eilte zu ihm. Lautlos, wie olivfarbene Schatten, gesellten sich drei Männer des Teams zu ihnen, gefolgt vom erregt schnaufenden Smith. Kurz darauf standen sie vor einer bereits geöffneten Geheimtür.
„Nett, oder?“ Daniel warf ihr einen undefinierbaren Blick zu. „Eine Tür hinter einem Bücherregal. Der Mistkerl hat etwas übrig für Klischees.“
„Seien Sie vorsichtig“, polterte die Stimme des Lieutenants. „Es könnte jemand dort unten sein.“
„Niemand ist dort unten.“ Daniel stieg die schmale, hölzerne Treppe hinunter. „Glauben Sie mir.“
„Woher wollen Sie das wissen?“
„Wäre jemand da, würde ich seinen Atem hören.“
„Ach so. Warum frage ich eigentlich.“
Smith tastete sich hinter Elena ins Dunkle vor. Der Gang schien endlos lang, doch vermutlich erschien es ihr unter den gegebenen Umständen nur so. Als es derart finster wurde, dass sie tastend die Arme ausstreckte, erfüllte helles Licht den Raum. Elena kniff die Augen zusammen. Schmerz durchzuckte ihr Gehirn, ehe sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte.
„Ach du Scheiße!“ Vor ihren Augen entstand eine groteske Szenerie. War das Haus im Erdgeschoss bereits surreal, trieb es hier die absonderlichsten Blüten. „Was soll das denn darstellen?“
Vor ihr lag ein Zimmer, das bis auf einen damastroten Samtsessel leer war. An den weißen Wänden hingen gerahmte Fotos, denen jeweils ein winziges Glaskästchen zugeordnet war. Darin lag etwas, das an verkohlte Knochenstücke erinnerte. Elena trat näher an eines der Bilder heran. Es zeigte einen jungen, gut aussehenden Mann, der mit verträumtem Gesichtsausdruck eine Katze streichelte. Er saß in einem Garten, umringt von blühenden Goldregenbüschen, und schien sich unbeobachtet zu fühlen. Ein genauer Blick auf das Artefakt in dem Glaskästchen bestätigte Elenas Verdacht. Es handelte sich um ein verkohltes Knochenstückchen. Vermutlich stammte es von dem Jungen.
Elena zählte. Es waren zwölf Bilder. Zwölf Unschuldige, die grausam ums Leben gekommen waren. Daniel, erstarrt zur Salzsäule, stand vor dem Foto einer rothaarigen Schönheit.
„Wo zum Teufel bleibt die Spurensicherung?“ Smiths Stimme durchdrang nur von fern Elenas Membran aus Entsetzen. „Ich hasse diese Herumtrödelei.“
Der Lieutenant ging zu Daniel und zögerte einen Moment, als wüsste er nicht, wie er sein Mitgefühl ausdrücken sollte. Dann legte er eine Hand auf Daniels Schulter. „Komm schon, Junge. Es ist besser, wenn du nach draußen gehst.“
„Nein.“ Daniels Gesicht war wie aus Eis gemeißelt. „Ich bleibe hier.“
„Unsinn. Wir gehen alle zusammen hoch. Das hier ist ein Fall für die Spurensicherung.“
Daniel knurrte einen unverständlichen Fluch. Ehe Smith oder sie eingreifen konnten, riss er das Glaskästchen von der Wand und steckte es in die Tasche seines Jacketts. „Niemand bekommt die Knochen meiner Frau.“
Smith seufzte. „Dann können wir nicht sicher sein, ob sie wirklich zu ihr gehörten.“
„Sie gehören zu ihr.“
Daniel warf ihr einen Blick zu. Elenas Elend vertiefte sich, als sie sah, dass seine Augen in Tränen schwammen. Es war ein unwirklicher Anblick. Nie hätte sie geglaubt, diesen Mann einmal am Boden zerstört zu sehen.
„Ich weiß, dass es ihre sind.“
„Schon gut. Kommen Sie.“
Gemeinsam verließen sie das Haus, dessen zuvor angenehmer Duft in den Gestank verkohlter Knochen überging. Elenas Magen zog sich zusammen, als sie an die frische Luft traten, und wäre ihre Disziplin nur einen Hauch schwächer gewesen, hätte sie sich auf den Rasen übergeben.
„Es tut mir so leid.“ Sie starrte auf den Boden, presste die Lippen zusammen und zog den Kopf zwischen die Schultern. Alles in ihr schrie danach, Daniel zu berühren, doch sie wusste, dass er es nicht zulassen würde. Er brauchte Zeit. Und diese Zeit musste sie ihm geben.
„Sie machen jetzt erstmal Pause, Natali.“ Smith versuchte kläglich, seine harte Maske zu wahren. Doch immerhin gelang es ihm um Längen besser als ihr. „Morgen haben Sie frei, in Ordnung? Wir kümmern uns um alles und sorgen dafür, dass das Arschloch nirgendwo unterkriechen kann. Wir kontrollieren Bahnhöfe und Flughäfen. Wir quetschen die Anwohner
Weitere Kostenlose Bücher