Wenn nur noch Asche bleibt
nicht mehr willens, etwas zurückzuhalten. Mary hatte unvorstellbares Leid ertragen müssen. Schmerzen, die er sich kaum vorstellen konnte. Es war nur gerecht, selbst zu leiden. Für sie und für alles, was geschehen war. Blut floss seinen Rücken hinab, warm und kitzelnd. In seinen Adern brannte Säure.
„Komm.“ Nikolai hängte sein Schwert in die Vorrichtung und kam auf ihn zu. Was sollte das? Er wollte kämpfen. Kämpfen bis zum letzten Atemzug. „Ich verbinde es.“
„Nein.“ Daniel schwankte. Die Spannung seines Körpers löste sich binnen Sekunden, alle Kraft verließ ihn und wich einer bleiernen Müdigkeit. Er wollte schlafen. Einfach nur schlafen. Klappernd fiel seine Waffe zu Boden.
„Der Schnitt ist tief. Tut mir leid. Ich dachte, du wärst schneller.“
Nikolai packte ihn bei den Schultern und schob ihn vorwärts, hinaus aus dem Dojo und hinüber in den kleinen, angrenzenden Raum, in dem nicht nur diverses Material, sondern auch der Erste-Hilfe-Kasten aufbewahrt wurde. Als Daniel auf die Bodenmatte sank, war er sicher, niemals wieder aufstehen zu können. Was war nur los mit ihm? Waren auch seine Energien nicht unerschöpflich und verließen ihn? Forderten die vergangenen Monate nun ihren Tribut?
Wie durch einen Schleier spürte er das Brennen des Desinfektionsmittels und das Stechen der Nadel. Er hatte seine Schüler oft verarzten müssen, jetzt war es zum ersten Mal umgekehrt. Kopfüberhängend belustigt zählte Daniel die Stiche. Sechs auf jeder Seite, insgesamt zwölf. Nicht übel. Eine nette Wunde, die sich gut in sein Narben-Sammelsurium einfügen würde. Spätestens morgen würde sie verheilt sein. Glücklicherweise nicht spurlos, sonst hätte er sich Latexnarben kaufen müssen, um nicht aufzufliegen.
Daniel kicherte, als Nikolai ihm aufhalf und ihn zum Schlafzimmer hinüberführte. Warum zum Teufel kicherte er? Schnappte er über? Mit der Schwerfälligkeit eines Walrosses fiel er auf den Futon, schaffte es gerade noch, sich über seine Plumpheit zu wundern und auf die Seite zu drehen – dann schlief er ein.
Seine Träume handelten von Elena.
Elena im Kleid, Elena nackt im Meer, Elena nackt in einem blühenden Dschungel, auf einer Klippe, auf seinem Küchentisch, in seinem Bett. Sie kauerte über ihm, strahlend schön, umhüllt von tanzenden Kaskaden in allen erdenklichen Farben. In ihren Augen funkelten petrolgrüne, türkisfarbene und azurblaue Kristalle, ihre Lippen waren karmesinrot, ihre Haut schimmerte wie das zarteste Perlmutt. Sie streichelte über seine Arme, küsste seinen Hals, neckte seine Brustwarzen mit gekonnten, sanften Bissen und rieb sich an ihm, bis er es nicht mehr ertrug.
Das Dojo … die Fensterwand. Oh ja, genau darauf hatte er Lust. Mit einem Knurren, das Elena sehr zu stimulieren schien, zerrte er sie hoch und schleppte sie hinüber in den Trainingsraum. Er hörte ihr Stöhnen. Warum klang es so dunkel? Vor seinen Augen tanzten alle existenten Farben einen ekstatischen Reigen, ihm wurde heiß und heißer, während Körper und Geist sich in Dimensionen hinaufschwangen, die die Umschreibungskraft menschlicher Wörter verspotteten. Euphorisch warf er Elena gegen die Fensterwand, verschlang ihre Lippen mit einem Kuss und zerrte an ihrer Hose. Sie trug nur dieses eine Kleidungsstück. Seltsam. Grobe Hände kratzten über seinen Rücken, drückten ihn gegen ihren schwitzenden Körper. Sie war stark. Verdammt stark.
Irgendetwas stimmte hier nicht. Dieses Gefühl kam ihm bekannt vor.
Er packte ihre Schultern, brachte sie auf Abstand und starrte in ihr Gesicht. War es wirklich Elena? War er wirklich hier? Der farbige Schleier wich, als zöge sich ein Vorhang zur Seite. Langsam, quälend langsam.
„Ich will dich”, schnurrte sie mit Grabesstimme. „Ich wollte dich vom ersten Augenblick an. Lass es zu. Komm schon.”
Daniel sah fassungslos zu, wie Haare aus ihrem Kinn sprossen. Kurze, blonde, drahtige Stoppeln. Unmöglich. Er zuckte zurück. Plötzlich wischte etwas den Schleier beiseite und präsentierte ihm die Wahrheit. Vor ihm stand nicht Elena, sondern Nikolai. Keuchend, hochrot und aufgelöst in heller Entzückung.
Daniel brauchte eine Weile, um diesen Anblick zu verarbeiten. Was zum Teufel ging hier vor? Er wollte beiseiteweichen, doch der Junge hielt ihn zurück. Normalerweise wäre dieser kleine Mistkerl spätestens jetzt in hohem Bogen in die nächste Ecke geflogen, doch etwas blockierte Daniels Kraft.
„Lass es zu.“ Nikolai beugte sich vor und
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