Wenn nur noch Asche bleibt
wahrzunehmen. Der Puls an seinem Hals war kaum mehr fühlbar, die Atmung ging flach und schnell. Kalte, feuchte Haut, Bewusstseinsstörungen. Die Symptome eines hämorrhagischen Schocks.
Elena sah einen klaffenden Stich auf der linken Seite seines Bauches. Sie schob die Hand unter seinen Rücken und ertastete keine Austrittswunde. Dafür einen offenbar genähten Schnitt, der sich quer über das rechte Schulterblatt zog. Er war bereits dabei, zu verheilen.
„Mist, Mist, Mist, Mist.“ Sie rannte zu ihrer Tasche zurück, zog das Handy heraus und wollte die Nummer des Notrufs eingeben, doch das Ding bekam keinen Empfang.
„Wo ist dein Telefon?“, rief sie Daniel zu. „Wo ist dein verdammtes Telefon?“
Keine Antwort. Seine Augen waren geschlossen. Sie lief zu ihm, redete auf ihn ein, schüttelte ihn vorsichtig … nichts. Kopflos begann Elena, zu suchen. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche. Fehlanzeige. Nirgendwo ein Telefon. Sie nahm ihr Handy, rannte nach draußen – kein Empfang. Sie hastete eine Etage höher – kein Empfang.
„Kacke! Was für eine Scheiße!”
Elena eilte in den Nebenraum des Dojos. Auf dem Boden neben einer Matte lag ein geöffneter Erste-Hilfe-Kasten. Sie kramte das Nötige hervor, rannte zu Daniel zurück und schaffte es irgendwie, trotz zitternder Hände und Tränen, die ihr die Sicht nahmen, einen Druckverband anzulegen.
„Hörst du mich? Ich muss dich ins Auto schaffen. Hilf mir ein bisschen, ja? Kannst du das? Wach auf, Mann. Bitte wach auf.“
Er blinzelte. Sie erkannte die Andeutung eines Nickens. Tatsächlich gelang es ihr, Daniel auf die Beine zu hieven. Irgendwie schaffte er es, seine letzten Kräfte zu mobilisieren und so erreichten sie den Wagen schneller, als Elena zu hoffen gewagt hatte. Vielleicht hatte sie sich getäuscht. Blut sah außerhalb des Körpers immer dramatisch aus. Eine Kopfplatzwunde genügte, um ein ganzes Auto mit Blut einzusauen in einem Ausmaß, dass ein Unwissender davon ausgehen musste, der Verwundete müsse längst über dem Jordan sein.
Vorsichtig hievte sie Daniel auf den Rücksitz, winkelte seine Beine an, damit sie die Tür schließen konnte, und stürzte zur Fahrertür hinüber. Nur Sekunden später, so erschien es ihr, rasten sie bereits die Straße in Richtung Highway entlang.
„Halt durch“, bettelte sie mit tränenerstickter Stimme. „Tu mir das nicht an, okay? Untersteh dich, zu sterben. Ich liebe dich, du gottverdammter Mönch.“
Das Gesicht der Empfangsdame entgleiste, als Elena vor ihr zum Stillstand kam. Warum, war ihr nur allzu klar: Es gab kaum eine Körperstelle an ihr, die nicht von Blut besudelt war. Es klebte an Händen und Kleidung, im Gesicht, an den Haaren und an ihrem Ausweis, den sie mit zitternden Fingern hochhielt.
„Ich bin Detective Elena Winterblossom. In meinem Wagen liegt ein Schwerverletzter. Stichverletzung auf der linken Bauchseite.“
„Wir sind eine auf Rehabilitierung spezialisierte Klinik. Keine Notfallambulanz.“
„Sehen Sie mich an“, brüllte Elena. „Es gibt kaum eine Stelle an mir, die nicht mit seinem Blut eingesaut ist. Denken Sie, ich habe noch die Zeit, nach der richtigen Klinik zu suchen? Er stirbt, verdammt noch mal. Ich bin nicht aus Portland, ich habe keine Ahnung, wo es zum nächsten Krankenhaus geht. Und jetzt schicken Sie jemanden her, der meinen Partner versorgt, oder ich vergesse mich.“
Die Frau eilte zum Telefon, nuschelte etwas hinein und legte wieder auf. „Es ist gleich jemand hier. Machen Sie sich keine Sorgen.“
„Keine Sorgen?“ Elena hyperventilierte. „Keine Sorgen? Sie sind gut. Scheiße noch mal.“
Ihr Körper kapitulierte. Mit letzter Kraft torkelte sie zu einem der Plastikstühle und sank darauf zusammen wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte. Alles hüllte sich in einen gnädigen Schleier. Ein Arzt nahm sie unter seine Fittiche, führte sie in einen hellen, weißen Raum und verpasste ihr eine Beruhigungsspritze, die sie nicht einmal spürte. Ihr Blick erfasste nur verschwommen das Plakat, das von innen an der Tür klebte.
New England Rehabilitation Hospital of Portland. Recover. Renew. Return
.
Darüber prangte das Symbol eines Phönixes. Ähnlich jenem Brandmal, das sich auf den Handgelenken der Opfer befunden hatte. Elena stieß den fürsorglich plaudernden Arzt beiseite und sprang auf, um das Plakat mit bebenden Fingern zu betasten.
„Kann das Zufall sein?“ Elena fuhr herum. Die helle Gestalt des jungen Arztes sah aus wie
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