Wenn nur noch Asche bleibt
Aber übertreib’s nicht. Sonst bekommst du ein Oneway-Ticket nach Area 51.“
Nichts geschah. Eine halbe Stunde sah sie auf ihn hinab, nägelkauend, betend und weinend. Bis sie es irgendwann nicht mehr aushielt.
„Ich bin gleich wieder da.“ Elena legte die Zeitung auf das Bett und erhob sich. Ihr Körper fühlte sich an, als hätte er das Stadium kurz vor einer Querschnittslähmung erreicht. „Ich brauche noch einen Kaffee. Und Schokolade. Verdammt, ich brauche einen Jahresvorrat an Schokolade. Sonst überlebe ich das nicht.“
Das Glück war ihm hold. Sie hatten Daniel aufgegeben, ungeschützt lag er in einem gewöhnlichen Krankenzimmer. Es gab keine Intensivstation, keine Scharen von Ärzten, keine Schleusen und Kontrollen. Vielmehr hätte man, klammerte man den Geruch nach Desinfektionsmitteln aus, dem Glauben verfallen können, sich in einem Kurhotel zu befinden.
Als er Elena aus dem Zimmer huschen sah, spannte sich jeder Muskel seines Körpers an. Es war so weit. Er musste es schnell tun, schnell und unauffällig. Die Konsequenzen fürchtete er nicht – für ihn war das Leben in dieser Wirklichkeit ohnehin vorbei. Erst würde er Daniel erlösen, dann sich selbst. Gemeinsam würden sie das Ziel ihrer Reise erreichen, und niemand, nicht einmal Tony, konnte sie dort noch erreichen.
Nikolai huschte durch den leeren Gang, öffnete die Tür des Krankenzimmers und huschte hinein. Als er sie leise wieder hinter sich schloss, schlug ihm das Herz bis zum Hals. Elena war verzweifelt und ertrug das Sterben ihres Partners nicht, was bedeutete, dass sie sich entweder sehr viel oder sehr wenig Zeit lassen würde. Nikolai tippte auf Letzteres, also nahm er die Spritze aus dem Etui und trat zu Daniel. Wider Erwarten war es ihm im Dojo nicht gelungen, seinen Plan umzusetzen. Aber diesmal würde er nicht scheitern. Auf seiner Unterlippe herumkauend stand er da und starrte auf den Mann, den er liebte und begehrte wie niemanden zuvor, spürte, wie das Blut durch seine Adern raste und in seinem Kopf pochte.
Die Wut über Daniels rüde Zurückweisung war verdampft. Zurück war nur Entrückung geblieben. In der anderen Wirklichkeit würden sie zueinander gehören. Wie der Morgen zum Abend, wie die Sterne zur Nacht.
„Es tut mir leid“, flüsterte er. „Aber er darf dich niemals bekommen. Er verdient deine Reinheit nicht. Für Tony wirst du nicht brennen. Komm, ich bringe dich nach Hause.“
Er beugte sich über Daniel, streichelte sein Haar, küsste seine Lippen und sog den schalen Geruch seiner Haut ein. Sein Körper heilte, das spürte er. Die magische Kraft des Kristalls erweckte das sterbende Fleisch zu neuem Leben und würde es wiederauferstehen lassen. Schöner und mächtiger als zuvor. Er hatte es an Tony gesehen, auch wenn man bei ihm von Schönheit kaum sprechen konnte. Zweimal war er fast getötet worden, zweimal hatte die Kristallmagie ihn geheilt. Und jedes Mal war er stärker geworden. Fremdartiger. Fast bedauerte er, diese Wandlung nicht an Daniel zu sehen.
„Wir sehen uns wieder. Bald.“ Er stach die Nadel in den Schlauch der Infusion, zögerte einen Moment, dachte an Tonys exorbitanten Wutanfall, den er zweifellos erleiden würde, und drückte mit einem Lächeln auf den Lippen den Kolben hinunter.
„Zurück!“, brüllte eine grelle Stimme. „Nimm deine Finger von ihm!“
Nikolai erschrak derart, dass sein heftiges Zucken die Spritze zu Boden fallen ließ. Kaum die Hälfte hatte sich in Daniels Blutkreislauf entleert. Das war zu wenig. Schäumend vor Wut fuhr er herum.
„Sie werden nicht schießen.“ Er starrte auf ihre niedliche, kleine Pistole. Dann auf ihr verweintes Gesicht. Mit ihren verwuschelten Haaren und den großen, feuchten Augen sah sie ohne Frage reizend aus. Eine tragische Isolde, die ihrem Tristan nachtrauerte.
„Würdest du die Hand dafür ins Feuer legen, du Mistkerl? Weg von ihm!“
Sie zitterte wie Espenlaub. Nikolai scheiterte daran, Angst von Verzweiflung zu unterscheiden, doch wie sie da vor ihm stand, sah sie ohne Frage schwach aus. Solch eine Frau erschoss keine Menschen. Viel eher kaufte sie Strasshalsbänder für ihr Angorakaninchen und weinte bei jeder gegen die Windschutzscheibe klatschenden Fliege. Langsam bückte er sich und hob die halb entleerte Spritze wieder auf.
„Sie werden nicht schießen, Mäuschen.“
Ein Knall, ein sengender Schmerz. Die Beine gaben unter ihm nach. Er stieß ein Brüllen aus, umklammerte sein Knie und spürte, wie es unter seinen
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