Wenn nur noch Asche bleibt
sein.“
Daniel war auf unnachahmlich perfekte Weise erstarrt und gab während der gesamten Fahrt nichts von sich. Alles, was sich hin und wieder bewegte, waren seine Augenlider, während sich sein Blick in den sonnendurchfluteten Tag hinaus richtete. Alles dort draußen erschien ihr wie pure Heuchelei. Das blaue Meer, die fröhlichen Menschen, die idyllischen Dörfchen, an denen sie vorbeifuhren. Die Welt genoss das Leben, doch hier in ihrem Wagen herrschte nichts als düstere Vorahnung, die Erleichterung in Beklemmung verwandelte.
Als sie Daniels Haus erreichten, hätte Elena ihn am liebsten geschüttelt.
„Es tut mir leid“, hörte sie ihn endlich sagen.
Ein Lebenszeichen. Wunderbar! Mein Gott, warum waren seine Augen so schön? Warum unterstrichen selbst die Augenringe und die Fahlheit der Erschöpfung seine Noblesse? Die Frau in ihr pfiff auf Angst und Verwirrung und wollte ihn spüren. Sie wollte sich an ihn werfen, ihn küssen und berühren, ihm Worte der Erleichterung ins Ohr säuseln, die schleppend in Laute der Erregung übergingen. „Ich hätte dich da nicht mit …“
„Oh bitte, lassen wir das, ja?“ Sanft legte sie einen Zeigefinger auf seinen Mund. „Komm mir nicht mit Heldengeschwafel. Wir sind quitt. Du hattest Angst um mich und ich hatte welche um dich. Unser Konto ist ausgeglichen.“
„Wie du meinst. Leid tut es mir trotzdem.“ Er schwankte beim Aussteigen und musste sich am Türrahmen festhalten, um nicht zu Boden zu gehen. Elena wollte ihm helfen, doch sein Blick sagte, dass er es lieber allein schaffen wollte. Männer! „Ich hoffe nur, Smith reißt dem Hurensohn so richtig den Arsch auf.“
„Ich bin sicher, das wird er.“ Elena rang sich zu einem Grinsen durch. Daniel warf ihr einen weiteren unergründlichen Blick zu, während die Sonne sein Haar mit schimmernder Bronze übergoss, dann öffnete er die Tür und ließ ihr galant den Vortritt.
„Jetzt heißt es warten, hm?“ Als sie in das Wohnzimmer trat, spürte sie, wie tief die Müdigkeit in ihren Knochen steckte. Das Baldachinsofa sah unwiderstehlich aus. „Aber mit dir zusammen warte ich gern.“
„Einsamkeit ist Belästigung durch sich selbst, und wer bis zum Hals in der Scheiße steckt, sollte nicht den Kopf hängen lassen. Nur befürchte ich, dass ich gerade nicht besonders unterhaltsam bin.“
„Na ja, dem Tod mit einer akrobatischen Leistung von der Schippe zu springen, laugt eben aus. Ruh dich aus, ich pass so lange auf.“
Daniel lächelte dankbar und verschwand, vermutlich, um zu duschen. Elena ließ sich in die Polster des Sofas fallen, fand jedoch keine Ruhe, denn ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um Nikolai. Da waren echte Zuneigung und Liebe in den Augen des Jungen gewesen, wann immer sein Blick auf Daniel geruht hatte. Hatte diese Liebe möglicherweise Nikolai die Grenze zum Wahnsinn überschreiten lassen? Trug sie die Schuld an seinem Amoklauf?
Eine halbe Ewigkeit lag sie auf dem Sofa und verlor sich in bodenlosen Grübeleien. Ihr kam der Gedanke, zum Meer hinunterzugehen, doch erstens war es dumm, unter den gegebenen Umständen allein herumzuwandern, und zweitens war ihr Körper schwer wie ein Klotz aus Blei und blockte jeden Versuch ab, ihn zu einer Bewegung zu zwingen. Erst, als das Handy in ihrer Hosentasche bimmelte, gelang es Elena, aus ihrer Starre zu erwachen.
„Unglaublich!“, brüllte Smith los. „Unfassbar! So was habe ich noch nicht erlebt!“
„Was ist los?“, nuschelte sie. „Was ist passiert?“
„Er ist weg! Hat vier meiner Männer ins Koma befördert und ist getürmt. Mit einer zerschossenen Kniescheibe! Ich bitte Sie, das ist unmöglich. Ein schwer verletzter Hänfling mäht sechs meiner besten Männer um und türmt. Sagen Sie, geht’s noch?“
Smith hyperventilierte. Elena sah vor ihrem inneren Auge, wie sein Dreifachkinn bebte und seine Haiaugen blitzten. Vermutlich ähnelte er einer Atombombe, die, wenn sie einmal explodierte, für spektakuläre und totale Vernichtung sorgte. Nikolai war also entkommen. Bestand Gefahr für sie? Würde der Junge postwendend versuchen, seinen Plan zu beenden?
„Wann passierte das?“, fragte Elena.
„Gerade eben erst. Ganz in der Nähe des Hafens. Dieser Hund ist schnell wie ein Wiesel. Er tauchte in der nächstbesten Mengenmenge unter und löste sich in Wohlgefallen auf. Ich habe mehrere Einheiten rausgeschickt. Sämtliche Überwachungskameras dieser Stadt suchen nach ihm, jeder verdammte Officer ist angehalten, nach diesem
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