Wenn nur noch Asche bleibt
jede Form der Askese. Was bringt es mir, jahrelang zu hungern und zu darben? Ein Stück guter Kuchen bringt mir mehr inneres Glück. Also komm. Er schmeckt am besten, solange er noch warm ist.“
Der Alte tat einige Schritte, rieb sich voller Vorfreude die Hände, doch dann hielt er abrupt inne und legte Daumen und Zeigefinger an das Kinn. Offenbar dachte er über etwas nach. „Sei es drum, ich will es jetzt wissen.“ Großmeister Zongyou klatschte in die Hände. „Komm mit, mein Sohn.“
Er ließ sich von dem Mönch führen, der sich bei ihm einhakte wie ein altes Mütterchen. „Was willst du wissen?“
Ohne zu antworten, zog er ihn zum Kloster hinaus, die Treppe hinunter und in den Wald zurück. Erst, als sie die alten Pagoden passierten, beendete der Alte sein Schweigen.
„Ich will wissen, ob er dasselbe über dich denkt wie ich.“
„Wie bitte?“
Großmeister Zongyou zwinkerte verschmitzt. „Ich meine den Beweis dafür, dass du der Auserwählte bist.“
Daniel schnaufte. „Das ist nicht dein Ernst?“
„Doch, ist es. Komm nur, mein Sohn.“
Hastig zog ihn der Mönch weiter. Sie erklommen einen steilen Hang, wobei der Großmeister sein Alter Lügen strafte und kletterte wie eine Bergziege. Schließlich erreichten sie einen Pfad, dem sie folgten, bis er vor nassglänzenden, anthrazitfarbenen Felsen endete. Eine Wand ragte in den Himmel hinauf. Sie erweckte den Anschein, als hätte ein gigantisches Geschöpf vor Urzeiten seine Klauen daran gewetzt. Risse und Kerben durchzogen den Stein, Farne und Moose sprossen aus jeder Spalte. Daniel hätte schwören können, dass es nirgendwo einen Eingang gab, doch nachdem der Mönch eine Weile mit fast zärtlicher Hingabe über den Fels gestrichen hatte, zwängte er sich in einen solchen. Es war nur eine enge Spalte. Möglicherweise war sie aus der vorherigen Perspektive nicht zu sehen gewesen.
„Gleich wirst du mehr erkennen.“ Die Stimme des Mönches war heiser vor Erregung. „Komm, mein Sohn. Es ist nicht mehr weit. Es ist gleich hier.“
Die Dunkelheit war vollkommen. Tief und zäh wie Pech. Daniels Finger ertasteten glitschigen Fels, mit den Schultern stieß er gegen kantige Vorsprünge. Es roch nach Moder, Alter und Kälte. Offenbar folgten sie einem engen Gang, der sie in das Herz der Berge hineinführte. Übelkeit stieg in ihm auf. Er spürte zu viel Dunkelheit, zu viel Masse um sich herum. Das Gewicht des gesamten Gebirges schien auf ihm zu lasten und schnürte ihm die Luft ab. Panik streckte ihre Finger nach ihm aus, doch schon nahte Erlösung. Ein bläulicher Schimmer durchdrang die Finsternis, webte sanfte Fäden hinein und kroch über schwarzen Fels. Fels so glatt wie Glas.
Daniels Finger strichen darüber, während der Mönch ihn weiterzog, immer schneller zum Licht. Die Oberfläche war warm und von makelloser Glätte. Welche Technik hatte den harten Fels so bearbeitet? Fast erschien es, als würde der Stein leben. Als würde das gesamte Gebirge leben. Wie ein gigantisches, schlafendes Wesen. Ein unendlich langsames Pulsieren schien alles zu erfüllen. Der Gang glänzte und schimmerte wie aus Kristall geschliffen. Silbrige, mäandernde Flüsse aus Glimmer überzogen den schwarzen Fels.
Unvermittelt öffnete sich der Gang zu einer Höhle. Daniels Atem verdorrte, als er an die Decke hinaufblickte. Auch sie war spiegelglatt und glänzte irisierend in einer solchen Pracht, dass jeder Kronleuchter dagegen schlicht erscheinen musste. Der polierte Stein warf das Strahlen eines Kristalles zurück, der sich in der Mitte der Höhle befand, eingelassen in einen schwarzen, perfekten Quader.
„Berühre ihn“, sagte der Alte. „Nur keine Angst.“
Auch ohne diese Aufforderung hätte er nicht widerstehen können. Langsam trat er näher. Ein Kraftfeld aus Energie strömte über seinen Körper, sickerte in seine Haut und erfüllte jede Kapillare mit warmem Prickeln. Ein berauschendes Gefühl. Der Kristall sang, vibrierte und summte. Daniels Wille ging unter in grenzenlosem Entzücken. Er streckte einen Arm aus, legte die Hand auf eine der strahlenden Facetten und keuchte auf vor ungläubigem Staunen. Ganze Äonen schienen ihn zu durchströmten, Jahrmillionen voller Erinnerungen, angereichert mit einer Macht, in der sich die Schöpfung widerspiegelte.
Er sah eine Wüste, schimmernd im roten Licht des Abends. Zwei Karawanen zogen über die Dünen dahin, im Sonnenuntergang warfen sie lange Schatten auf den Sand. In der Ferne erschien ein gewaltiges Tor
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