Wenn nur noch Asche bleibt
von Spott. Viel eher leuchteten die Augen des Alten vor Faszination. „In letzter Zeit kommt es mir vor, als würde ich diesem Mann immer ähnlicher. Meine Haare und Augen sind dunkler geworden, mein Gesicht schmaler. Ich könnte schwören, dass sich sogar mein Mund verändert hat. Früher hatte ich dünnere Lippen.“
„Manchmal nutzen ruhelose Seelen uns als Gefäße.“ Der Alte schien entzückt zu sein. „Sie sehnen sich nach ihrem verlorenen Leben, und indem sie in einen fremden Körper schlüpfen, nehmen sie gewissermaßen am Geschehen der Sterblichen teil. Vielleicht begleitet er dich auch, weil er sich dir verbunden fühlt.“
„Inwiefern verbunden?“
„Vielleicht teilt ihr ein gemeinsames Schicksal.“
„Und was ist mit den Veränderungen? Sind sie real?“
„Ja. Die Seele in dir ist stark. Sehr stark sogar. Ich nehme an, dass sie dich unbewusst ihrem eigenen Aussehen angleicht.“
Daniel schauderte. Dieser Gedanke behagte ihm ganz und gar nicht. Irgendetwas war in ihm? Ein Geist? Das klang wie in einem schlechten Psychothriller. „Heißt das, diese Seele löscht mein eigenes Ich aus?“
„Oh nein.“ Großmeister Zongyou wedelte energisch mit den Händen. „Das würde sie niemals tun. Sie ist dein Begleiter, dein Freund. Wenn du dich veränderst, dann nur äußerlich und nur in geringem Maße. Abgesehen davon scheint es keine Entwicklung zu sein, die dich ärgerlich stimmen sollte. Du siehst prächtig aus, mein Junge. Selbst mit Glatze. Aber es scheint mir, als wäre ein Teil von dir empört über den Verlust deiner Haare. Lass mich raten, du bist es nicht?“
Daniel grinste schief. Er wusste nichts zu entgegnen, also übte er sich in Schweigen. Wenn ihn tatsächlich die Seele eines Verstorbenen als Gefäß nutzte, wer war er? Und warum hatte er ihn ausgewählt?
„Gefährlich ist es eher für deinen unsichtbaren Freund“, fuhr der Alte fort. „Denn es kann ihm leicht passieren, dass du ihn absorbierst und damit für immer gefangen hältst. Wie auch immer, ich sehe, dass du dein altes Leben hinter dir lassen willst. Das ist gut so, denn Leben ist Veränderung und du bist bereit für etwas Neues. Du hast den Platz unter der Heiligen Zeder schon gesehen. Dort unterrichte ich meine auserwählten Schüler.“
„Wie viele waren es?“
„In meinem ganzen Leben? Drei.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. „Dich mitgezählt. Ich widme mich nur Schülern, von denen ich weiß, dass mein Schicksal mit ihrem verbunden ist. Das hier ist kein Kloster wie am Fuß der Songshan Berge. Wir unterrichten nicht. Es sei denn, ein Mensch wie du fällt uns vor die Füße.“
Daniel fühlte sich unwirklich. Die alte Welt hatte aufgehört zu existieren, und es bereitete ihm keine Mühe, nicht an sie zu denken. Sie war ein ferner Schatten. Ein Traum. Und es fühlte sich gut an. „Warum ich?“
Großmeister Zongyou hob die Arme und ließ sie wieder fallen. Eine Geste, die unerwartet salopp anmutete. „Weil du hierher gefunden hast. Und weil du mich gefunden hast. Du musst sterben. Aber ich werde dir helfen, wiedergeboren zu werden. Vier Jahre wirst du bei mir bleiben. Bei mir und meinem japanischen Freund Kouhai. Ich bringe dir bei, was ich weiß. Und er wird dir seine Welt zeigen. Aber nur, wenn du es wirklich willst. Nichts auf dieser Welt sollte unter Zwang geschehen.“
Bedenkzeit war überflüssig. „Ja“, antwortete Daniel. „Ich werde bei euch bleiben.“
„Das ist gut.“ Der Mönch nickte zufrieden. „Aber du solltest erst entscheiden, wenn du unsere Welt kennst. Sie wird dir fremd erscheinen. Sie ist anders als deine. Sehr viel anders. Dein Denken wird sich verändern. Auch dein Körper und deine Empfindungen. Alles wird sich verändern. Wie ich schon sagte, wenn du hierbleibst, wird der Mensch, der du jetzt bist, sterben.“
Daniel nickte. Alles in ihm war sehnsüchtige Zustimmung. „Nichts lieber als das.“
„Dann ist es beschlossen. Komm, es wird Zeit, dass du wieder zu Kräften kommst. Einer unserer Brüder hat wunderbaren Kuchen gebacken.“
„Kuchen?“ Er stutzte. „Ich dachte, ihr übt euch in Askese.“
Der Mönch schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Buddha sagte einst einen weisen Spruch: Ist die Sehne deines Instruments zu straff gespannt, kannst du nicht darauf spielen. Ist sie zu schlaff, trifft dasselbe zu. Die innere Mitte ist der einzig wahre Weg, was bedeutet, dass man nichts übertreiben und in allem ein gesundes Maß halten sollte. Das betrifft auch
Weitere Kostenlose Bücher