Wenn nur noch Asche bleibt
ist.“
Die Enttäuschung blieb aus. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Er wusste nur, dass dies hier nicht die Erlösung war, sondern eine abgefahrene Art von Illusion. Vielleicht der Vorgarten zur Hölle. Oder zum Himmel. Wenn das Leben wie ein schlechter Witz daherkam, warum sollte es mit dem Jenseits anders sein? Es hätte ihn nicht verwundert, jeden Augenblick ein paar Ritter mit Kokosnüssen um die Ecke galoppieren zu sehen.
„Man nennt mich Großmeister Zongyou“, sagte der Alte. „Aber verstehe Großmeister nicht in dem Sinne, dass ich mich dir überlegen fühle. Es bedeutet nur, dass ich den Weg, den du gehen wirst, bereits gegangen bin.“
„Den Weg, den ich noch gehen werde?“
Ihm entkam ein Lachen. All diese weise schwafelnden Meister in einschlägigen Filmen entstammten also keiner klischeedurchtränkten Erwartungshaltung, sondern tummelten sich auch in der Realität. Andererseits wusste er nicht, ob das hier überhaupt real war, was seine kopfüberhängende Belustigung wieder relativierte.
„Das hier ist echt?“ Seine Stimme klang gereizt. „Ich bin nicht tot?“
„Natürlich ist es das.“ Der Mönch grinste vergnügt. „Und nein, du bist nicht tot. Sieben Tage sind vergangen, seit ich meine Brüder rief und wir dich hierher brachten.“
Konfus blickte Daniel an sich hinab. Er schob das Hosenbein hoch und sah eine gut verheilte Wunde. Ihm fiel nichts zu entgegnen ein, also erwiderte er den Blick des Alten mit einem schiefen Lächeln.
„Komm.“ Großmeister Zongyou schritt auf ihn zu und nahm seine Hand. „Ich zeige dir das südliche Kloster.“
Daniel folgte ihm willenlos. Sein Körper schien schwerelos zu sein. Der Wald, der Nebel, der Himmel, die Kaskaden aus Tropfen – all das war die Szenerie eines Deliriums, in dem Traum und Wirklichkeit ineinander übergingen wie Farbenschlieren auf Seifenblasen.
„Das alte Kloster ist verschwunden“, sagte der Mönch. „Der Wald holt sich das zurück, was wir ihm vor Jahrhunderten genommen haben. Aber das südliche Kloster war kein Bauwerk, sondern ein Gedanke. Eine Idee. Es war Inspiration.“
Daniel lachte. Es war ein ungewohnter Laut, den er eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gehört und in seiner Kehle gespürt hatte. „Ein alter Großmeister, der mir Weisheiten angedeihen lässt. Sagen Sie mir jetzt noch, ich sei der Auserwählte? Habe ich irgendwo an meinem Körper ein Muttermal, das wie ein uraltes Zeichen aussieht und mich als Superhelden auszeichnet?“
Der Mönch gluckste und blubberte wie eine Wasserpfeife. „Ich empfehle dir, alle Erwartungen hinter dir zu lassen. Nur ein Gefäß, das leer ist, kann man neu füllen.“
Daniel grinste. So eine Antwort hatte er erwartet. Sie wanderten durch den Wald, erklommen eine Anhöhe und durchschritten ein weites Tal. Bäche flossen wie ein glitzerndes Labyrinth dahin, wanden sich um Zedern und Felsen, vereinten sich zu einem klaren Teich und stürzten als Wasserfälle tiefer. Ein Ort von träumerischer Schönheit.
Bald erkannte er zwischen den Bäumen ein dreistöckiges Bauwerk. Er sah graue, geschwungene Dächer, Säulen, verspielte Vorsprünge, Schnitzereien und Figurengruppen. Eine breite Holztreppe führte zu einer Terrasse hinauf, gesäumt von steinernen Tigern und Drachen. Daniel hatte auf seinen Reisen beeindruckendere Tempel gesehen, doch dieser strahlte etwas aus, das auf tieferer Ebene berührend war. In dunstiges Sonnenlicht gehüllt und beschützt von der Ruhe des Waldes, umgab ihn Magie. Er erinnerte an die verzauberten Orte aus den Märchen seiner Kindheit. Orte, die niemand sah, außer jenen Menschen, die dafür auserwählt waren.
Sein Herzschlag wurde schleppend und träge. Etwas Wohltuendes sickerte durch seinen Körper. Etwas, das selbst den zornigen Eisklumpen mit Wärme berührte, den die Trauer hatte wachsen lassen. Er hoffte inständig, sich an diesem Gefühl festklammern zu können.
Großmeister Zongyou führte ihn die Treppe hinauf. Feuchtes Holz dampfte in der Sonne. Flüchtig sah Daniel drei Mönche im Inneren des Tempels, doch sie verschwanden allzu schnell im dämmrigen Dunkel.
„Hier entlang.“ Der Alte führte ihn nicht durch das prachtvoll vergoldete Eingangsportal, sondern durch einen offenen Bogengang. Gelb blühende Kletterpflanzen überwucherten Holzgitter, sodass es war, als durchschritte man einen lebendigen, Wind flüsternden Tunnel.
Der Gang wand sich einmal nach rechts und einmal nach links, bevor er sich zu einem prachtvollen
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