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Wenn nur noch Asche bleibt

Wenn nur noch Asche bleibt

Titel: Wenn nur noch Asche bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
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aus blau glasierten Ziegeln, auf denen Stiere und langhalsige, giraffenähnliche Tiere prangten. Hinter diesem Tor, das sich für die herannahende Karawane öffnete, zog sich eine Prachtstraße dahin, flankiert von azurblauen Mauern, die so breit waren, dass zwei Pferdegespanne nebeneinander auf ihnen dahinjagen konnten. Menschenmassen empfingen die Reisenden. Männer mit nackten, braunen Oberkörpern und gelocktem Haar, Frauen in weiten, gewickelten Gewändern in strahlendem Weiß. Über den Fluss, der am Rande der Stadt entlangströmte, glitten Schiffe mit blutroten Segeln dahin. Palmen und Blumen wuchsen auf weiten Plätzen und terrassenartig angeordneten Gärten. Tempel strebten dem Wüstenhimmel entgegen, Zikkurats und Paläste schimmerten golden im Sonnenlicht.
    Daniel erkannte diese Stadt. Es musste Babylon sein. Die archaische Hochburg des Wissens an den Ufern von Euphrat und Tigris. Das herrliche Bild verblasste, noch ehe er es ganz in sich aufsaugen konnte. Stattdessen entstanden neue Szenen in seinem Geist. Drei Männer, stolz und würdevoll, mit gekräuselten Bärten und fließenden, goldenen Gewändern aus Muschelseide, standen um einen schwebenden Kristall herum. Jener Kristall, auf dem Daniels Hand in diesen Augenblicken ruhte. Im Hintergrund stand eine Gruppe Frauen in purpurnen Gewändern, die die Szene mit schweigendem Ernst betrachteten. Ihre Augen waren schwarz umrandet, ihre Lider mit Goldpuder und grünem Malachit bestäubt. Seltsam war, dass ihre Hinterköpfe ebenso wie die der Männer auf geradezu bizarre Weise in die Länge gewachsen waren. In Verbindung mit den schräg stehenden, pechschwarzen Augen verlieh es ihnen eine unmenschliche Aura.
    Aus bronzenen Dreibeinen stiegen Rauchschwaden auf. Zu Füßen prächtiger Säulen dösten Leoparden, auf den Häuptern in Stein gehauener Fabelwesen, halb Löwe und halb Krieger, putzten weiße Gerfalken ihr Gefieder. Gestenreich unterhielten sich die Männer miteinander, während zwei dunkelhäutige, normalsterblich aussehende Sklaven ihnen mit Fächern aus Straußenfedern Kühlung zufächelten. Daniel verstand kein Wort des Gespräches, doch er spürte, dass dessen ruhiger Charakter schnell in Zorn überging. Schließlich kam eine der Frauen herbei und beendete das Streitgespräch, indem sie den Kristall in ihre Arme schloss, einen unverständlichen Fluch murmelte und erhobenen Hauptes den Saal verließ.
    Eine neue Szene entstand in seinem Kopf, in schneller Folge abgelöst von weiteren Bildern. Ein großes Papyrusboot glitt über ein stilles, tiefblaues Meer. Eine Karawane mit fünf prachtvoll geschmückten Elefanten an der Spitze kämpfte sich über schneebedeckte Berge. Eine Pyramide gewaltigen Ausmaßes, strahlend weiß mit goldener Spitze, ruhte wie ein Symbol der Ewigkeit unter dem schönsten Sternenhimmel, den er jemals erblickt hatte.
    Schließlich endeten die Visionen. Er riss die Augen auf, erfüllt von einer gewaltigen Sehnsucht nach etwas, das er nicht begriff. Die perfekt geschliffenen Facetten des Kristalls brachen tausendfach das aus ihm dringende Licht, und in seinem Inneren befand sich, wie er erst jetzt erkannte, ein zweiter Kristall. In ihm war wiederum ein solcher eingeschlossen, und in diesem ein vierter. In jedem Kristall steckte ein verkleinertes Abbild seiner selbst, bis sich die Formen in nicht mehr erkennbarer Winzigkeit verloren.
    Sein Blick verschwamm. Ihm war, als versänke seine Hand in dem Relikt und würde von ihm umschlossen werden. Tastende Finger aus Licht schlangen sich um seine Finger und krochen seinen Arm hinauf. Er hörte neben dem kristallenen Summen einen weiteren, sonderbaren Ton, ein leises Pulsen, das zunehmend seine Sinne vernebelte. Es drang in seinen Körper ein, wurde intensiver, bis Daniels gesamte Körperlichkeit mit der Frequenz mitschwang. Seine Hand glitt tiefer in den Kristall, berührte eine weitere Ebene. Das Pulsen wurde stärker, das Energiefeld so mächtig, dass er glaubte, es nicht mehr ertragen zu können. Eine ungeheure Kraft raste durch seine Zellen, wollte ihn zerstören, zerreißen. Seine Hand glitt immer noch tiefer in den Kristall, von einer Ebene zur anderen, bis er plötzlich fiel und nichts mehr sah außer Helligkeit. Strahlend, gleißend, unbeschreiblich schön. Sein Körper war nicht mehr Fleisch, sondern Licht. Seine Existenz nicht mehr fleischlich, sondern geistig.
    Was er spürte, war Vollkommenheit. Eine schwerelose, alles erfüllende Harmonie, gehalten vom Gleichklang allen

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