Wenn nur noch Asche bleibt
Handy aus der Jacketttasche, während der Ohrring, an dem Elena in jener Nacht so leidenschaftlich geknabbert hatte, im Scheinwerferlicht eines vorbeifahrenden Wagens aufblitzte. „Ja?“
Stille. Sie hörte nichts, starrte stattdessen auf den Stumpf seines kleinen Fingers. Die dazugehörigen Schmerzen wollte sie sich nicht ausmalen, konnte jedoch nicht verhindern, dass sich ihre Fantasie verselbstständigte. Daniel lauschte eine Weile, nickte schließlich, murmelte: „Wir kümmern uns darum“, und ließ das Handy in seiner Tasche verschwinden.
„Was steht an?“
„Der Leithengst hat uns eine Aufgabe verpasst. Ganz in der Nähe findet offenbar ein Ehestreit statt. 312 B Chestnut Street, über dem Restaurant
Darling
. Da wir praktisch nur aus dem Auto fallen müssen, hat er es uns aufs Auge gedrückt.“
„Von mir aus.“ Elena gähnte und ließ den Motor an. „Eheberater spielen ist besser als nichts. Also nichts wie hin.“
„Gern, meine Winterblüte.“
Abrupt fuhr sie hoch. „Sag das nie wieder. Nie, nie wieder. Verstanden? Oder du wirst dem Begriff des leidenden Helden ganz neue Maßstäbe verleihen.“
„Winterblüte?“ Daniel zog den Kopf zwischen die Schultern und warf ihr einen gespielt ängstlichen Blick zu. „Winterblüte, Winterblüte. Und jetzt? Steckst du mich in ein weißes Hemd und folterst mich ordentlich durch? Ich kann es kaum erwarten. Tun wir es bei mir oder bei dir?“
„Ich hasse meinen Namen.“ Spürbar schoss ihr das Blut in die Wangen. „Ich hasse, hasse, hasse ihn. Klar so weit?“
„Er ist schön. Mir gefällt er. Winterblossom. Eine Blüte im Winter. Und wie war das jetzt mit deinem Angebot?“
„Halt die Klappe.“
Daniels Grinsen wurde breiter, während sie den Wagen über die wie ausgestorben wirkende Nebenstraße lenkte. Dass sich die Zusammenarbeit mit ihm als Herausforderung entpuppen würde, war Elena von Anfang an klar gewesen. Sagte sie A, verlangte er B. War sie der Meinung, voranzugehen, entschied er sich für Warten. Damit konnte sie leben. Nicht aber mit der Tatsache, dass dieser Mann sich benahm, als hätte ihre gemeinsame Nacht nie stattgefunden. Elena wünschte, sie könne diesen Umstand mit größerer Fassung tragen. Stattdessen war sie kurz davor, ihn auf die Rückbank zu zerren, um ihm die Erinnerung wieder wachzurufen. Allmählich wurde dieser Drang so groß, dass sie die Fingernägel in das Lenkrad bohrte, sich auf die Zunge biss und eine Salve an innerlichen Flüchen losließ.
Nein, sie würde nicht noch einmal die Initiative ergreifen. Falls er Interesse an ihr hatte, dann sollte gefälligst er damit beginnen, ihr das zu beweisen. Dummerweise, und das führte dieser Mistkerl ihr in arglistiger Regelmäßigkeit vor Augen, besaß er weit mehr Selbstdisziplin als sie. Nebenbei stürzte er sie permanent in Verwirrung und verwandelte jeden Versuch, ihn auch nur ansatzweise zu durchschauen, in einen jämmerlichen Witz. Mal saß ihm der Schalk im Nacken und er alberte herum wie ein sorgloser Junge. Mal saß er einfach nur da und starrte düster ins Leere, trug eine Miene zur Schau, als lastete das gesamte Gewicht dieses Planeten auf seinen Schultern. Zweimal hatte sie ihn erwischt, wie er versunken das Foto seiner Frau angestarrt hatte, das er in seiner Schreibtischschublade aufbewahrte, und ganze dreimal war sie Zeuge gewesen, wie er Selbstgespräche vor dem Spiegel führte, die keinen Sinn ergaben. Oft saß er während ihrer gemeinsamen Autofahrten mit melancholischem Blick neben ihr und sprach kein Wort, dann wieder plauderte er so ausschweifend, wie es nicht einmal ihre beste Freundin fertigbrachte.
Es war unmöglich, aus diesem Mann schlau zu werden. Und die Art, wie er sie manchmal ansah, jagte ihr ein ums andere Mal einen Schauder über den Rücken.
„Ein Restaurant?“ Nach geschätzten fünf Minuten Fahrt parkte Elena den Wagen vor einer hektisch knisternden und flackernden Leuchtreklame. „Das nenne ich eher eine heruntergekommene Kaschemme. Meine Güte, grillen die hier Kakerlaken?“
Daniel zuckte mit den Schultern. „Die Tierchen sind nicht übel. Sie schmecken nach Haselnüssen. Wenn man großen Hunger hat und die Augen zumacht, erinnern sie mit etwas Fantasie an Nusspralinen. Schön knackig, mit cremigem …“
„Halt die Klappe!“ Elena hob demonstrativ die Hand. „Oder es setzt was.“
Sie hatte aggressiver geklungen als beabsichtigt. Es musste an der Umgebung liegen, die zu viele Erinnerungen wachrief. Das
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