Wenn nur noch Asche bleibt
Übel sind die monatlichen Psychologensitzungen. Gott, wie ich die hasse. Leider kann ich nicht jede Sitzung mit List und Heimtücke umschiffen.“
„Höchstes Tier? Du meinst Smith?“
„Ja. Er mag mich.“
Daniel warf dem Lieutenant einen Schulterblick zu, den dieser freundlich erwiderte. So freundlich ein Blick eben erscheinen konnte, wenn man das Gesicht und die Gestalt eines Walrosses besaß und soeben erfahren hatte, dass ein Verräter in den eigenen Reihen sein Unwesen trieb. Genau genommen sah Smith aus, als hätte er nicht übel Lust, eine ganze Armee mit seinen eigenen Händen auszuweiden und ihre Köpfe auf spitze Pfähle zu stecken.
Elena lehnte ihren Kopf gegen die Scheibe und sah der vorbeirasenden Küste zu. Wie dickbäuchige, weißgraue Segelschiffe hielten Quellwolken vom Meer her Einzug. Das Wetter würde umschlagen, doch sie bezweifelte, dass Daniel sich um Dinge wie Naturgewalten kümmerte, wenn er ein Ziel vor Augen hatte.
Ihr Blick wanderte aufmerksam über Strände und Klippen. Hin und wieder entdeckten sie eine Bucht, die versteckt lag und geeignet schien, in ihrem Schutz Menschen auf Scheiterhaufen zu verbrennen. Fanden sie einen solchen Ort, brachte Daniel den Helikopter so tief hinunter, wie es die Sicherheit zuließ, ließ ihn mehrere Runden fliegen und drehte erst wieder ab, wenn Elena, Smith und auch er selbst sich davon überzeugt hatten, dass es dort unten nichts zu entdecken gab.
Die Zeit flog dahin. Ohne Unheil zu stiften, lösten sich die Wolken auf und ließen einen perlmutt schimmernden Himmel zurück. Elena wünschte, der Helikopter möge einfach immer höher fliegen. So hoch, bis die Welt nur noch eine ferne, blaue Kugel war und süßes Nichts sie umfing. Alles wäre fern. Ängste, Zweifel, Sorgen. Nichts könnte sie mehr tangieren. Gemeinsam würden sie durch ein stilles Universum treiben.
Ihre Konzentration schwand. Bald fühlte sich Elenas Kopf an, als bestünde er aus Blei. Ihr Gehirn inbegriffen. Schließlich, als sie den halben Tank nahezu leer geflogen hatten und die Rückkehr damit unmittelbar bevorstand, entdeckte Smith etwas.
„Runter!“ blaffte er. „Noch weiter runter! Seht ihr das? Die geschwärzte Stelle, wo die Felsen eine kleine Höhle bilden?“
„Ja.“ Daniel und Elena sprachen das Wort nahezu synchron aus.
„Landen Sie!“ Smith wedelte aufgeregt mit seinen baumstammdicken Armen. „Es ist mir egal, wie, aber landen Sie, in Herrgotts Namen!“
Elena sandte ein Stoßgebet zum Himmel und konnte trotz aller antrainierter Unerschütterlichkeit nicht vermeiden, dass ihr ob des abrupten Tiefflugs der Magen in die Kehle rutschte. Daniel liebte es offenbar, mit dem Tod zu flirten. Er umwarb ihn mit fatalistischem Gleichmut, manövrierte die Maschine über die winzige Fläche, die Felsen und Kiefernwald freigaben, und ließ sie unsanft landen. Seevögel stoben in Massen davon. Nur wenige Armlängen trennten die Rotorblätter von den Ästen der Bäume. Elena schlackerten die Knie, als Daniel den Helikopter endlich ausschaltete. Ohne ein Wort zu sagen, schnallte sie sich ab und stieg aus. Den Koffer herauszuhieven, gestaltete sich als schier unlösbare Aufgabe. Was war nur los mit ihr? Gut, sie hatte gerade die waghalsigste Landung aller Zeiten überstanden, aber jemandem, der aus reinem Spaß an der Freude fünfzehn Fallschirmsprünge absolviert hatte, sollte so leicht nichts den Magen umkrempeln.
„Warte, ich mach das schon.“
Daniel schob sie sanft beiseite, griff den Koffer und warf sich die Tasche mit der Kletterausrüstung über die Schulter. Seine Selbstsicherheit ärgerte Elena. Während es ihr ein enormes Maß an Beherrschung abverlangte, äußerlich ruhig zu bleiben, war er im Angesicht größten Risikos von einer fast kindlich wirkenden Unbekümmertheit erfüllt. Selbst jetzt, da so viel geschehen war, das ihn aus der Fassung hätte bringen müssen. Beneidenswert. Oder doch nicht? Als Daniel mit verschmitztem Lächeln die Seile über die Klippen warf und galant hinunterdeutete, begriff Elena, dass er alles andere als unerschütterlich war. Unter dieser scheinbar unkaputtbaren Hülle klaffte ein abgrundtiefes Loch, gefüllt mit vor sich hingärenden, unterdrückten Gefühlen.
„Ladys first?“
Eine Gänsehaut überzog ihren Körper, als er ihr das Geschirr umlegte. Seine Berührungen katapultierten sie in ihre erste gemeinsame Nacht zurück, und sie benahm sich wie der sprichwörtliche Pawlow’sche Hund. Smith wachte mit Argusaugen
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