Wenn plötzlich die Angst kommt: Panikattacken verstehen und überwinden (German Edition)
beschäftigen,
– immer nahe an einer Wand und/oder einer Tür stehen,
– Dinge nur an »guten Tagen« in Angriff nehmen,
– sich selbst ständig mit positiven Gedanken wie »du wirst es schaffen, du wirst es schaffen« ermutigen.
Einige Therapeuten bezeichnen diese Strategien als Fetischismus: Solange der Betroffene den »magischen« Gegenstand bei sich trägt oder die »magische« Handlung unternimmt, wähnt er sich in Sicherheit. Menschen, die unter Panikattacken leiden, sind überaus erfinderisch im Entwickeln von Vermeidungsstrategien. Ein Patient drückte es so aus:
Einkaufen zu gehen erfordert genauso viel sorgfältige Vorbereitung wie ein Banküberfall Man muss jeden Schritt genau planen, und solange es jederzeit einen Fluchtweg gibt, lässt sich so ein Einkauf in der Regel bewältigen.
(Ruth Hurst Vose in ihrem Buch »Agoraphobia« 10 )
Auf das Schlimmste gefasst sein
(»Lebensretter« dabeihaben)
Man könnte diese Strategie auch so beschreiben: immer einen Erste-Hilfe-Koffer dabeihaben, um vorbereitet zu sein, wenn ein Unglück geschieht. Es gibt viele verschiedene Methoden, umdie Angst, wenn sie sich bemerkbar macht, wenigstens einigermaßen im Zaum zu halten. Manche Menschen haben immer etwas bei sich, das ihnen das Gefühl gibt, für den Notfall ausgerüstet zu sein – einen Flachmann in der Handtasche, ein Riechfläschchen, eine Selbsthilfebroschüre für Panikpatienten, ein Handy.
Viele Betroffene haben immer ein paar Tranquilizer in der Tasche, »für alle Fälle«. Das Gefühl, im Ernstfall eine Tablette nehmen zu können, reicht oft schon aus, um dem Betreffenden ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Einer meiner Patienten berichtete einmal, dass er sich wirklich gut fühlte, als er zu einem geschäftlichen Treffen musste – keine Angst, keine Anzeichen von Panik-, bis ihm plötzlich einfiel, dass er vergessen hatte, seine Tranquilizer einzustecken. In dem Moment spürte er, dass er eine Panikattacke bekam.
Viele Patienten haben sich ein ganzes »Waffenarsenal« zugelegt, auf das sie zurückgreifen, um im Ernstfall die Angst auf einem erträglichen Niveau halten zu können – sie legen sich aufs Bett, machen ein paar tiefe Atemzüge, trinken Wasser oder Alkohol, nehmen Valium oder andere Tranquilizer, versuchen sich selbst Mut zu machen, gehen eine Runde Joggen oder versuchen ihre körperlichen Symptome einfach zu ignorieren.
Vermeidungsstrategien: »Jetzt leben, später bezahlen«
Obwohl es auf der Hand zu liegen scheint, dass Vermeidungsstrategien ein sinnvolles Mittel sind, um Panikgefühle zu verhindern oder zumindest auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, bieten sie nur eine vorübergehende Hilfe. Auf lange Sicht tragen sie im Gegenteil nur dazu bei, dass das zu Grunde liegende Problem bestehen bleibt.
Die Betroffenen sind vielleicht der Meinung, dass sie Wasser auf das Feuer schütten und es dadurch löschen; sie haben jedoch den verkehrten Kanister in der Hand und gießen in Wirklichkeit nur Öl aufs Feuer. Vermeidungsstrategien haben langfristig eine zerstörerische Wirkung, denn
– sie schränken das Leben der Betroffenen und ihren Handlungsspielraum immer mehr ein; ihre Lebensqualität nimmt spürbar ab;
– sie bewirken, dass die Patienten eine wirklich schwere Panikattacke nicht bewältigen können (falls es doch einmal soweit kommt), denn sie haben nur gelernt, Panikattacken zu umgehen, nicht aber, mit ihnen umzugehen ;
– sie hindert die Betroffenen daran, die Wahrheit zu erkennen – nämlich, was geschähe, wenn sie nicht mehr versuchen würden, Panikattacken zu vermeiden, zu stoppen oder abzuschwächen.
Was würde denn geschehen, wenn man überhaupt keinen Versuch mehr unternehmen würde, gegen die Panikgefühle anzukämpfen? Diese Vorstellung ist vielleicht auf den ersten Blick beängstigend, aber gerade das – den Kampf aufzugeben – ist ein wichtiger Schlüssel für eine erfolgreiche Therapie, wie ich in den folgenden Kapiteln zeigen werde.
4. Was ist eine Panikattacke?
Der menschliche Körper funktioniert auf ganz erstaunliche Weise. Alles scheint extra dafür geschaffen zu sein, uns am Leben zu erhalten und vor Schaden zu bewahren. Nehmen Sie zum Beispiel einen Schnitt in den Finger – warum strömt das Blut nicht immer weiter aus der Wunde heraus, so lange, bis wir verblutet sind? Der Körper erkennt, dass wir uns geschnitten haben, und reagiert auf die veränderte Situation. Wenn das Blut mit Luft in Berührung kommt,
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