Wenn plötzlich die Angst kommt: Panikattacken verstehen und überwinden (German Edition)
folgenden Tag kennen. Es war die erste unserer insgesamt dreizehn Sitzungen, die sich über einen Zeitraum von sieben Monaten erstreckten. Ich bat ihn zu beschreiben, was er in der letzten Zeit erlebt hatte. Er hatte das Gefühl, dass er jederzeit durch irgendein Alltagsproblem »über das Kuckucksnest fliegen« könnte – mit diesem Ausdruck meinte er, dass er seine Identität verlieren und ein völlig anderer Mensch werden könnte, der nicht mehr für sich selbst und seine Handlungen verantwortlich wäre und nie wieder normal würde. Außerdem befürchtete er, im Beisein anderer Menschen einen Zusammenbruch zu bekommen, die Kontrolle über seine Gefühle zu verlieren und haltlos zu weinen. Innerhalb des letzten Jahres hatten sich seine Panikattacken verschlimmert. »Mittlerweile würde ich sie Horrorattacken nennen«, erklärte er mir.
Er konnte überhaupt nicht verstehen, warum er so etwas Schreckliches erlebte – er konnte keinen Grund dafür erkennen und war der Meinung, dass sein Leben eigentlich recht glücklich gewesen war. Die Tatsache, dass er keine Ursache für seine Panikattacken erkennen konnte, bewies in seinen Augen, dass er »an einer angeborenen Persönlichkeitsstörung« litt, »für die es keine Heilung gibt«. Durch seinen Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik waren seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt worden. Er sagte, dass er dort fast ständig unter Panikgefühlen gelitten hätte; dabei hätte er den Eindruck gehabt, diesen hilflos ausgeliefert zu sein. »Es war, als ob ich explodieren müsste … Ich war vor Angst wie gelähmt.«
Bitte beachten Sie an diesem Punkt, dass dieser Mann unter schweren inneren Spannungen, Ängsten und Befürchtungen litt. Sein Problem war nicht, dass er »verrückt« war, sondern dass er befürchtete, es zu sein. Eben diese Befürchtung ließ seine Angst immer größer werden.
Wie alles anfing
Ich bat ihn, mir zu beschreiben, wie sich sein Problem entwickelt hatte – und zwar von Anfang an. Meine Absicht war an diesem Punkt der Therapie, ihn dazu zu bringen, seine Gedanken zu ordnen und zu entdecken, dass seine Panikattacken nach einem bestimmten Muster abliefen und dass sie auch ganz bestimmte Ursachen hatten. Die Fragen, die ich ihm stellte, sollten ihm dabei helfen, diese Gründe und Verbindungen selbst zu erkennen (wie ich es in den Kapiteln 9 bis 11 beschrieben habe).
Seiner Erinnerung nach waren seine ersten Lebensjahre glücklich gewesen, bis seine Mutter, als er fünf Jahre alt war, einen Nervenzusammenbruch erlitt und ins Krankenhaus kam. Sie war lange Zeit weg, ohne dass ihm irgendjemand erklärt hätte, wieso. Seine Familie reiste viel in der Welt herum. Als er dreizehn war und seine Familie in Trinidad lebte, kam er nach England in ein Internat.
Er kam drei Tage vor Beginn des Schuljahres an. Die ganze Schule war leer, und er schlief ganz allein in einem großen Schlafsaal. Auch am darauf folgenden Tag war er völlig sich selbst überlassen. Es wohnten keine Freunde oder Verwandten in der Nähe. Im Laufe der nächsten Tage trafen andere Schüler mit ihren Eltern ein, aber er hatte von Anfang an das Gefühl, dass er nicht richtig dazugehörte. Er konnte sich immer noch lebhaft an seine erste Panikattacke erinnern. Er saß gerade inmitten vieler anderer Jungen in der Aula. Plötzlich verspürte er schreckliche Angst und hatte das dringende Bedürfnis, die Aula zu verlassen. Er war verwirrt und begriff nicht, wieso er so plötzlich und ohne ersichtlichen Grund von einem so starken Gefühl überwältigt wurde.
Nach diesem Erlebnis begann es ihm Angst zu machen, vor einer Gruppe von Mitschülern zu sprechen; er weigerte sich, das zu tun. An unbekannten Orten begann er sich unwohl zu fühlen. Nach anderthalb Jahren kam er in ein anderes Internat. Es lag ineiner Gegend, in der Verwandte von ihm wohnten. Dort fühlte er sich weniger isoliert, und sein Problem verschwand größtenteils.
Im Alter von achtzehn Jahren immatrikulierte er sich an der Universität Birmingham, um Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Er wohnte mit einem Freund in einer Wohnung, die in der Nähe der Universität gelegen war; diese Zeit betrachtete er als recht glücklich, da er so gut wie keine Panikattacken hatte. Mit einundzwanzig Jahren legte er sein Examen ab und machte sich in seinem Beruf selbständig; später zog er nach Cardiff, um in der Nähe seines Vaters zu wohnen, der sich inzwischen von seiner Mutter getrennt hatte.
Als er fünfundzwanzig Jahre
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