Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft
eine Enttäuschung. Ein paar durchgebogene leere Regale. Eine heruntergebrannte Kerze. Ein Haufen vergilbter Zeitungen, sonst nichts. Nur... Gaylords Herz klopfte plötzlich rascher. Was er da drüben in der Düsternis erspähte, war schon erheblich verlockender. Auf dem Boden stand eine kleine Holzkiste. In solchen Kisten bewahrten die Leute ihre Golddukaten und Silberstücke auf.
Emma starrte, ein stämmiger Cortez, schweigend auf die Kiste. Schließlich fragte sie: «Was meinst du, was da drin ist?»
«Goldbarren und so», sagte Gaylord. «Und natürlich Münzen. Und Edelsteine.» Erbittert dachte er: Wenn man schon mal auf einen vergrabenen Schatz stößt, dann muß ausgerechnet Emma dabei sein. So ein Pech. Mädchen und vergrabene Schätze gehörten nicht zusammen. Eine mahnende Stimme sagte ihm leise, daß er die Kiste ohne Emma nicht gefunden hätte, aber er hörte nicht darauf.
«Wetten, daß da ein Gerippe drin ist?» sagte Emma.
«Da paßt doch gar keins rein», sagte Gaylord.
«Doch, wenn man es knickt. Wetten, da ist ein Gerippe drin mit Edelsteinen in den Augenhöhlen.»
Gaylord mußte zugeben, daß ein Gerippe mit Edelsteinen in den Augenhöhlen eine feine Sache wäre. Trotzdem war er persönlich mehr für den vergrabenen Schatz.
Emma machte sich schon am Schloß zu schaffen. Gaylord ermannte sich und sagte beschützerisch: «Laß mich das lieber machen. Auf verborgenen Schätzen liegt manchmal ein Fluch. »
Er riß mit an dem Schloß. Doch sie brauchten sich nicht sehr anzustrengen. Das Holz war schon ganz morsch. Krachend zersplitterte es, und Gaylord stand mit dem Deckel in der Hand da, aber mit geschlossenen Augen. Er mochte eigentlich gar nicht mehr hinsehen. Wenn Emma recht haben sollte, dann wollte er doch lieber nicht in die kalten Edelsteinaugen schauen müssen.
Dann sah er doch hin. Und er wurde wieder einmal belehrt, daß die Wirklichkeit nur selten an die Gebilde ungehemmter kindlicher Phantasie heranreichte. Keine Augenhöhlen, weder mit noch ohne Edelsteine. Keine Dukaten, keine Silberlinge. Die Realität bestand aus drei kurzen, runden Stäbchen, grau vor Staub, das Langweiligste und Verstaubteste, das man sich vorstellen konnte. Sie sahen fast so aus wie manche Steine am Meer, aber sie waren nicht so hübsch in der Farbe, und als er zwei von ihnen gegeneinander schlug, brachen sie nicht auseinander. Nein, es waren keine Felsbrocken.
Sie erinnerten ihn dunkel an Feuerwerkskörper, aber da war nichts, um sie anzuzünden. Es war so richtiges Erwachsenenzeug, das man nicht essen konnte und das zu nichts zu gebrauchen war, es sah nicht mal hübsch aus, und trotzdem hielten Erwachsene mit ihren komischen Wertbegriffen so etwas für wichtig.
«Du hast doch gesagt, hier sei ein Schatz vergraben?» sagte Emma verächtlich. «Was ist das denn überhaupt?»
«Es könnten Goldbarren sein», meinte Gaylord und kratzte mit dem Fingernagel an einem der Stäbchen. Natürlich wußte er, daß es keine waren, aber Mädchen glauben einem ja alles. Emma hatte jedoch schon das Interesse daran verloren. Sie packte die Butterbrote aus und machte die Limonadenflasche auf, während Gaylord allein über seinem Fund brütete. Er konnte sich nicht vorstellen, wozu die drei kleinen Dinger taugen sollten, aber man konnte nie wissen. Irgendwann würde er sie vielleicht mal brauchen. Es konnte nichts schaden, wenn er sie in seiner Kramkiste aufbewahrte mit all den anderen Sachen, die darauf warteten, einmal von ihm gebraucht zu werden: die Uhrfeder, der Deckel einer Fahrradklingel, der zerbrochene Elektrostecker, die leere Tabaksdose, der abgebrannte Knallfrosch, der letztes Silvester seinen großen Moment gehabt hatte. Wer weiß, vielleicht würde er sogar seinen Freunden Henry Bartlett und Willie Foggerty so ein Ding schenken.
10
May erwischte David unten im Hof.
Er sieht gehetzt aus, dachte sie. Aber diesmal sollte er ihr nicht entwischen. «David», sagte sie rasch. «Ich muß mit dir reden.»
«Ja, Tante May?» sagte er. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen. Nun ja, es war heiß heute. Trotzdem...
May redete nie lange um den Brei herum. «Warum hast du die Möwe getötet?» sagte sie.
«Die Möwe? » sagte er. «Ich - ich verstehe nicht, Tante May.»
«In den Dünen, an dem Tag, als wir an der See waren. Du hast Blut an den Händen gehabt. Du hast die Möwe, die Gaylord beim Picknick gefüttert hat, getötet und dann vergraben.»
Sein Gesicht war aschfahl geworden, aber sie hatte
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