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Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft

Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft

Titel: Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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kein Mitleid mit ihm. «Ich weiß nicht, wie du sie gefangen hast», fuhr sie fort, «aber du hast es getan. Und ihr den Hals umgedreht. Das war...abscheulich.»
    Er sah sie an - mit einer Miene, die sie nicht deuten konnte. Sie merkte nur, daß er nicht mehr in der Defensive war. Es war ein anklagender Blick, voll flammender Empörung. «Glaubst du wirklich, Tante May, ja glaubst du denn wirklich, daß ich... ich ... so etwas Schönes wie eine Möwe töten könnte?» Er machte eine hilflose und fahrige Handbewegung. «Mein Gott, wie schlecht du mich doch kennst! »
    Er war ein glänzender Schauspieler. Wenn sie die Möwe nicht selbst gesehen, den noch warmen Körper nicht mit eigenen Händen berührt hätte, sie wäre darauf hereingefallen. So aber sagte sie scharf: «Ich habe dich nicht gefragt, ob du es getan hast. Das weiß ich. Ich frage dich, warum du es getan hast?»
    Wortlos starrte er vor sich auf den Boden. Dann hob er den Kopf und sah ihr in die Augen. «Ich hab sie in den Dünen gefunden», sagte er. «Sie konnte nicht fliegen. Sie war verletzt. Das weißt du doch. Das Beste, was man für sie tun konnte, war, sie rasch zu töten, ehe ein anderes Tier sie erwischt hätte. Aber... es war das Gräßlichste, was ich je im Leben tun mußte.»
    «Ach so», sagte sie. «Es tut mir leid. Aber warum hast du mir das denn nicht gleich gesagt, statt so ein Geheimnis daraus zu machen?»
    Wieder schwieg er. «Ich wollte nicht mehr daran denken müssen», sagte er nach einer Weile. «Ich wollte es vergessen. Ich kam mir vor wie Lady Macbeth mit dem Blut an den Händen. Kannst du das nicht verstehen?» Seine Stimme überschlug sich plötzlich und klang fast hysterisch.
    «Ja», sagte sie sanft, «ich verstehe das schon.» Dennoch war ihr nicht recht wohl dabei. Wenn es stimmte, dann hatte er etwas getan, was für einen Jungen von seinem Naturell unerhört tapfer war. Wenn es nicht stimmte, hatte er etwas ganz Abscheuliches und Widernatürliches getan. Und sie war recht unsicher, ob er die Wahrheit gesagt hatte. Dafür hatte er allzu große Ausflüchte gemacht.
     
    Doch das sollten nicht die einzigen Ausflüchte sein, die sie zu hören bekam. Aber die anderen kamen von einer anderen Seite.
    «Was hast du denn da, Gaylord? » fragte May. Ihr Sohn lief mit auf der Brust gekreuzten Armen über den Hof wie ein meditierender Mönch. Und wenn das nicht bedeutete, daß er unter seinem Hemd etwas Unerlaubtes versteckt hielt, dann kannte sie ihren Gaylord schlecht.
    Zwei herzzerreißend unschuldsvolle Augen blickten sie an.
    «Wo, Mummi?» Er streckte beide Arme aus, um ihr zu beweisen, daß alles mit rechten Dingen zuging. Aber vorn hatte er einen merkwürdigen Auswuchs, dachte sie. «Komm, komm, mir kannst du nichts vormachen», sagte sie. «Ich habe Röntgenaugen.»
    Das brauchte sie Gaylord nicht eigens zu sagen. Mummi hatte Röntgenaugen, hatte Augen im Hinterkopf und konnte auch um die Ecke sehen. Das wußte er aus bitterer Erfahrung. Nein, er machte selten den Fehler, Mummi zu unterschätzen. Trotzdem erkannte er, daß ihre Röntgenaugen diesmal versagt hatten. Sie wußte nämlich nicht, was er unter seinem Hemd trug. Nun, es waren schließlich nur die drei kleinen Stäbchen, und es war eigentlich nicht einzusehen, warum es Ärger geben sollte, wenn man sie ihr zeigte.
    Aber eben darin konnte man sich bitter täuschen. Mummi war durchaus imstande, wegen drei solcher harmloser kleiner Stäbchen ein Heidentheater zu machen. Er wußte zwar nicht, wie sie es anstellen würde, aber daß sie etwas an ihnen auszusetzen haben würde, daß wußte er ganz genau.
    Andererseits sah er kaum einen Ausweg. Weglaufen kam nicht in Frage. Das war eine Lösung, die in seinen Überlegungen niemals auftauchte. Es entsprach seiner Natur, Mummi höflich und respektvoll zu behandeln, selbst noch bei seinen verzweifelten Versuchen, sie zu überlisten. Und Verzögerungstaktik schob den peinlichen Moment nur hinaus, denn es war völlig zwecklos, zu hoffen, daß Mummi die Sache vergessen würde. Mummi vergaß nie etwas.
    Also versuchte er wenigstens, sie vom Thema abzulenken, wenn auch mit geringer Hoffnung auf Erfolg.
    «Du, Mummi, ist das nicht dumm von Emma, daß sie meint, Jenny wäre in Paps verliebt?» sagte er. Es war das erstbeste Thema, das ihm gerade eingefallen war. Und zu seiner allergrößten Verblüffung mußte er feststellen, daß sein Trick diesmal funktionierte. Mummi schaute nicht mehr auf sein Hemd, sondern sah ihm ins Gesicht.

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