Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft
bewahren, an dem er aus schlechten Motiven handelt», sagte er schließlich.
Es war Zeit, zu Bett zu gehen. May erhob sich und nahm ihrem Mann das leere Glas und den Teller ab. «Aber sonst war es», sagte sie, «ein ganz ereignisloser Tag.»
21
Und die Tage blieben ereignislos. Wie riesige Heuschrecken zogen die Mähdrescher über die Felder und verschlangen die Fülle des Sommers, Äpfel hingen wie kleine goldene Sonnen zwischen den Blättern, und in den Gärten leuchteten bunte Herbstblumen. Dann kam der Tag, an dem Emma zum letztenmal am Frühstückstisch saß und ihre Cornflakes aß. Gaylord ging singend durch das Haus.
Sie brachten sie zum Bahnhof. «Wiedersehn, Gaylord», sagte Emma. «Willst du mich heiraten, wenn du groß bist?»
«Nicht besonders gern», sagte Gaylord ungalant. Das war doch der Gipfel. Er hatte geglaubt, dies sei das letzte Lebewohl. Die Vorstellung, sein ferneres Leben mit Emma verbringen zu müssen, ließ ihn schaudern. Und jetzt mußte Mummi natürlich wieder dazwischen kommen. «Aber du kommst doch zu Weihnachten, wenn du Lust hast, nicht wahr?» sagte sie. Verräterin!
Er war maßlos erleichtert, daß Emma diese Gedanken im Keime erstickte. «Nein, vielen Dank, Tante May. Ich will lieber mit Wendy und Simon spielen.»
«Wie du willst, Kind. Tu nur das, was du lieber möchtest», sagte May. Insgeheim war sie fast ebenso erleichtert wie Gaylord. Und doch hatte sie ein ungutes Gefühl. Ich habe nicht mein Bestes getan, dachte sie. Arme kleine resolute Emma. Sie hat sich bei uns nicht wohl gefühlt. Sie will nicht wieder hierher kommen. Das Kind meines eigenen Bruders, ein armes, vaterloses Geschöpf, und sie mag nicht wiederkommen.
Der Zug lief ein. Sie schoben sie in ein Abteil, und dann trug der Zug sie davon. Gaylord blies die Backen auf und machte erleichtert: «Puh!»
May fuhr ihn an: «Gaylord! Du bist ein richtig herzloser Junge. » Er blickte verstört auf. Kein Zweifel: sie betrachtete ihn mit Mißbilligung. Er kam sich vor wie ein Schuft. Was für eine maßlose Enttäuschung! Er hatte erwartet, daß er sich nach Emmas Abreise so frei wie ein König fühlen würde. Und nun hatte seine unberechenbare Mummi wieder einmal erreicht, daß er sich schuftig vorkam.
Jenny heulte auf dem ganzen Heimweg und machte es damit nur noch schlimmer. «Die arme kleine Emma», schluchzte sie. «Jetzt ist sie mutterseelenallein.»
«Das ist sie nicht», widersprach May. «Clarissa mag sie furchtbar gern. Und außerdem, sobald es deiner Mutter besser geht...» Hätte ich doch den Mund gehalten, dachte sie. Nun hingen die unausgesprochenen Worte noch deutlicher in der Luft. Sie hätte sagen müssen: Aber sie brachte es nicht über die Lippen.
Während die Tage verstrichen, wurde Jenny immer stiller und trauriger, und ihre großen grünen Augen ruhten immer liebevoller auf Jocelyn.
Tagsüber verbreitete die Sonne eine wohlige Wärme; nachts leuchtete ein großer, gelber, herbstlicher Vollmond am Himmel. Dann kam der Tag, an dem Jenny die Koffer packte. Am anderen Morgen sollten David und sie nach Indien fliegen.
Morgen um diese Zeit sind sie weg, dachte May. Dann brauche ich mir keine Sorgen mehr darum zu machen, ob das dumme Gör meinem Mann nachstellt und was David auf seinen Mondscheinspazier -gängen treibt. Aber mir bleibt die Sorge um Gaylord, der dann allein ist. Vorausgesetzt, das Damoklesschwert hängt immer noch über uns. Ja, die beiden sind dann fort. Arme Kinder. Auf das eine war ich eifersüchtig, mißtrauisch gegen das zweite, und für das dritte habe ich nur mit Mühe ein bißchen Sympathie aufbringen können. Dabei hätte doch das Mitleid, das mich überwältigte, als ich sie zum erstenmal sah, bei weitem ausreichen müssen, alle anderen Empfindungen zu ersticken.
Jocelyn dachte: Morgen wird es wieder still sein im Haus. Ach ja, und May wird froh sein. Sie ist wohl doch noch überzeugt, daß David der Bösewicht war.
Und ich? Was ist mit mir, dachte er. Werde ich froh sein? Nein, eigentlich nicht. Er mußte sich eingestehen, daß er Jennys Anwesenheit herrlich erregend gefunden hatte. Nicht etwa, daß es jemals mehr zwischen ihnen hätte geben können als diesen einen albernen Kuß. Aber vielleicht war gerade das der Grund, warum ein Mann seines Temperaments die Situation so angenehm fand. Hätte die Gefahr bestanden, daß sich mehr daraus entwickelte - die blanke Angst hätte ihn gepackt... Aber was sollte das alles, er
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