Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
sie oder Dad tut es mir nicht Leid – sie haben sich abscheulich mir gegenüber verhalten und mich zu dem gemacht, was ich war. Aber ich trauere um Ellen, und als plötzlich ihre Tochter vor mir stand, wurde mir dieser schreckliche Verlust wieder bewusst.
Alles, was Ellen tat, war gut. Sie hatte etwas Reines, das zu Herzen ging.
Ich glaube, ich habe etwas davon in Daisy wiedererkannt. Ich hoffe es jedenfalls. Schon um Ellens willen darf ich sie nicht fortschicken.
Das wird die ultimative Prüfung sein.Daisy ließ das Blatt sinken und weinte. Um Ellen, die sie jetzt sehen, fühlen, hören konnte, und um die arme, gequälte Josie.
Verzeihen konnte sie nicht, was Josie getan hatte, aber sie verstand ihre Beweggründe jetzt besser. Ihr Motiv war weniger das Geld als vielmehr Rache gewesen. Sie hatte für sich einen Weg entdeckt, wiedergeboren zu werden, und so böse und verwerflich das auch sein mochte, es machte irgendwie Sinn.
Daisy lag fast die ganze Nacht wach und grübelte über das Manuskript nach. Sie wünschte, sie hätte mit Lucy darüber sprechen können. Schließlich handelte die Geschichte von zwei Schwestern, und möglicherweise hätten sie einige Parallelen zu ihrer eigenen Beziehung entdeckt.
Was Lorna wohl dazu gesagt hätte? Sie war ein Typ wie Ellen gewesen, fürsorglich und zupackend. Hätte sie eine Schwester gehabt, die auf die schiefe Bahn geraten war, so hätte sie sich mit Sicherheit um sie gekümmert.
Daisy stellte sich vor, wie Lorna die Pluspunkte ihrer Suche nach Ellen aufgezählt hätte. Sie habe viel über andere Menschen gelernt, hätte Lorna gesagt, habe gelernt, ihre Schwächen zu tolerieren, ihre eigene Familie zu schätzen, zu verzeihen und den wahren Wert von Aufrichtigkeit zu erkennen. Sie war kein oberflächlicher Wirrkopf mehr.
An diesem Sonntag würde John von seinem Segeltörn zurückkommen. Während Daisy am Morgen aufräumte und das Mittagessen vorbereitete, saß Joel immer noch im Wohnzimmer und las Josies Manuskript. Er war um sechs Uhr früh von der Nachtschicht gekommen, hatte sich hingesetzt und angefangen zu lesen.
Daisy wartete ungeduldig, bis er fertig war. Sie brannte darauf, seine Meinung zu hören.
Als er schließlich in die Küche kam, wirbelte sie herum und fragte eifrig: »Bist du fertig?«
Er nickte ernst.
»Und? Wie denkst du darüber?«, drängte sie.
»Als Polizist würde ich sagen, bei ihr waren mehr als bloß ein paar Schrauben locker. Aber als Mann möchte ich am liebsten um sie weinen.«
»Im Ernst?« Mit dieser Reaktion hatte Daisy nicht gerechnet.
»Im Ernst.« Er nahm sie in die Arme, zog sie an sich und schmiegte das Gesicht an ihren Hals. »Schade, dass niemand für sie da war, der stark genug war, als sie diesem Mark Kinsale begegnete. Das muss ein verdammt fieser Mistkerl gewesen sein«, bemerkte er erbittert.
»Aber das entschuldigt nicht, was sie getan hat.«
»Nein, sicher nicht.« Er richtete sich auf und versuchte zu lächeln. »Doch das zeigt, was passieren kann, wenn Eltern nicht für ihre Kinder da sind.«
Das war auch Daisys letzter Gedanke kurz vor dem Einschlafen gewesen. Ihre Eltern hatten immer zu ihr gehalten, gleichgültig, was sie angestellt hatte. Ein Glück, dass Joel das genauso sah. Sie hoffte, sie würden ihren Kindern eines Tages auch gute Eltern sein.
»Ich weiß, das ist eine komische Frage, aber findest du Josie sympathisch?«, wollte sie wissen. »Ich meine, trotz allem.«
Er nickte. »Ja, irgendwie schon. Sie war verstört, verrückt, rachsüchtig, und trotzdem hatte sie was. Die Zeilen, die sie schrieb, nachdem du plötzlich aufgetaucht warst, sind mir besonders nahe gegangen. Da hat sie sich zu dem bekannt, was sie wirklich war. Sie hätte ihren Kopf retten können – sie hätte dich nur wegzuschicken brauchen, aber stattdessen tat sie um Ellens willen, was sie für das Richtige hielt.«
»Und sie war verdammt gut darin«, entgegnete Daisy wehmütig. »Sie hat Interesse und Bewunderung für mich gezeigt, und sie war wirklich großzügig. Aus heutiger Sicht ist mir natürlich klar, dass etwas nicht gestimmt hat. Ich hab mich immer gewundert, dass sie mir nichts über die Entbindung oder über ihre Arbeit in der Schule erzählt und nie auch nur ein paar Tränen vergossen hat. Doch ich dachte, nach dem Feuer hätte sie diese Dinge einfach rigoros verdrängt.«
»Viele adoptierte Kinder sind nicht im Stande, eine enge Beziehung zu ihrer leiblichen Mutter aufzubauen, selbst dann, wenn beide vollkommen
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