Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
suchst, wenn ich nicht mehr da bin. Ich glaube, das wird dir helfen.«
Daisys Augen füllten sich mit Tränen. »Nichts und niemand wird jemals deinen Platz einnehmen«, beteuerte sie. »Du bist meine Mutter. Ich will keine andere.«
Sie wusste, dass sie adoptiert worden war. Lorna und John hatten es ihr erzählt, als sie noch ganz klein gewesen war, und hinzugefügt, sie sei etwas ganz Besonderes – schließlich hätten sie sich Daisy im Gegensatz zu leiblichen Kindern aussuchen können. An dieser Haltung hatte sich auch nichts geändert, als die Zwillinge zur Welt gekommen waren, was für alle ein Wunder gewesen war, weil Lorna laut ärztlichem Befund unfruchtbar war. Daisy, damals fünf, hatte nie das Gefühl gehabt, dass die Zwillinge bevorzugt wurden, im Gegenteil, sie hatte sich vorgestellt, ihre Eltern hätten Tom und Lucy nur bekommen, um ihr eine Freude zu machen. Daisy hatte in fünfundzwanzig Jahren nicht ein einziges Mal nach ihrer leiblichen Mutter gefragt. Sie war eine Buchan, ganz egal, wie sie bei ihrer Geburt geheißen haben mochte.
»Das sagst du vielleicht jetzt, Dizzie«, meinte Lorna, sie liebevoll mit ihrem Spitznamen anredend, »aber ich weiß aus Erfahrung, dass ein Todesfall in der Familie Fragen aufwerfen und Emotionen auslösen kann, mit denen man nicht gerechnet hat. Ich glaube, die Suche nach deiner Mutter würde dir helfen, das alles besser zu bewältigen.«
Daisy wusste nicht, was sie erwidern sollte. Lorna würde nie einen solchen Vorschlag machen, wenn sie nicht lange und gründlich darüber nachgedacht hätte. Seit ihr klar war, dass sie sterben würde, hatte sie alles organisiert, angefangen vom Trauergottesdienst bis hin zu einem Vorrat an tiefgefrorenen Mahlzeiten. Diese Planung hatte nichts Makabres – Lorna war einfach immer so gewesen: vorausschauend und darauf bedacht, das Leben für ihre Familie leichter und angenehmer zu gestalten. Dennoch begriff Daisy nicht, wie sie auf den Gedanken kam, die Suche nach der Frau, die ihr Kind vor so vielen Jahren zur Adoption freigegeben hatte, werde ihr, Daisy, über ihren Kummer hinweghelfen.
Sie schaute zum Fenster hinaus. Auch der Garten hinter dem Haus zeugte von Lornas Umsicht und ihrem planerischen Talent. Die Rabatten, ein Meer von blauen, rosaroten und malvenfarbenen Blüten, waren wunderschön anzusehen. Das alte Spielhaus, in dem Daisy und die Zwillinge als Kinder viele glückliche Stunden verbracht hatten, war vom Geißblatt fast völlig überwuchert. Statt es später verfallen zu lassen oder abzureißen, hatte Lorna es jedes Frühjahr gesäubert und die Blumenkästen vor den Fenstern neu bepflanzt. Daisy wusste, wenn sie jetzt hineinginge, würde sie die kleinen Töpfe und Pfannen, die Stühle und den Tisch alle ordentlich an ihrem Platz vorfinden.
Lorna hatte natürlich gehofft, eines Tages würden ihre Enkelkinder darin spielen. Daisys Augen füllten sich mit Tränen bei dem Gedanken daran, dass Lorna die Hochzeiten ihrer Kinder und Geburten ihrer Enkel nicht mehr erleben würde.
»Ich werde sie suchen, wenn du es wirklich willst«, sagte Daisy, das Gesicht zum Fenster gewandt, damit die Mutter ihre Tränen nicht sah. »Aber was für ein Mensch sie auch sein mag, sie wird niemals deinen Platz einnehmen.«
»Leg dich ein bisschen zu mir«, bat Lorna. Sie hatte, selbst aus größerer Entfernung, stets gefühlt, wenn jemand weinte oder unglücklich war. Gehorsam kuschelte sich Daisy neben sie.
Das Bett der Eltern war seit jeher ein besonderer Platz. Die Zwillinge und sie hatten es als Trampolin benutzt, gespielt, dass es ein Boot, eine einsame Insel oder ein Krankenhaus sei. Hier hatten sie an Weihnachten nachgeschaut, was der Weihnachtsmann ihnen in die Strümpfe gesteckt hatte, hier waren sie umsorgt worden, wenn sie krank gewesen waren, hatten nachts Zuflucht gesucht, wenn sie schlecht geträumt hatten. Und als Teenager hatte sich Daisy oft zu ihrer Mutter gelegt und ihr ihre Ängste und Träume anvertraut. Als sie jetzt den Arm um Lorna legte, stiegen Erinnerungen aus neuerer Zeit in ihr empor: Sonntagmorgens, wenn Dad mit Fred, dem Westhighland-Terrier, unterwegs war, oder abends, wenn er noch in seinem Arbeitszimmer saß, war sie hierher gekommen und hatte ihrer Mutter ihr Herz ausgeschüttet, mit ihr über Joel gesprochen, über ihre Sorge, nie einen Job zu finden, der ihr wirklich Spaß machte, und über ihre Freunde.
Die meisten ihrer Freunde behaupteten, mit ihren Müttern nicht über Wichtiges reden zu
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