Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
Normalität mehr, an die sie sich hätte klammern können. An diesem Tag war eine Welt für sie zusammengebrochen. Eine unheimliche Stille herrschte im Haus, doch das Schlimmste war die Art und Weise, wie ihre Familie sich benahm.
Der Arzt war noch da gewesen, als ihr Dad früher als erwartet heimgekommen war. Er sei auf dem Weg zu der Besprechung gewesen, hatte er erzählt, habe aber plötzlich eine merkwürdige Vorahnung gehabt und sei deshalb direkt nach Hause gefahren. Obgleich er einem scheinbar irrationalen Impuls gehorcht hatte, zeigte er keinerlei Reaktion, als der Arzt ihm mitteilte, seine Frau sei vor wenigen Minuten verstorben. John stand einfach nur da und starrte ihn ausdruckslos an.
Er behielt sein sonderbar steifes, distanziertes Benehmen bei. Anstatt zu Lorna hinaufzugehen, fragte er den Arzt, ob er einen Tee oder einen Kaffee trinken wolle. Daisy sehnte sich nach einem tröstenden Wort, einer Umarmung. Sie hätte sich gewünscht, er hätte sie nach den letzten Minuten ihrer Mutter gefragt, ihr versichert, sie habe das Richtige getan, aber nichts von all dem geschah. Die Zwillinge schienen ihm wichtiger zu sein, denn kaum war der Arzt gegangen, rief er im College an und bat den Direktor, sie unverzüglich nach Hause zu schicken.
Der Totenschein lag auf dem Küchentisch. John nahm ihn in die Hand, las ihn und ging dann endlich zu Lorna hinauf. Daisy hörte, wie die Schlafzimmertür mit einem Klicken, das etwas Endgültiges hatte, ins Schloss fiel. Auf einmal fühlte sie sich vollkommen isoliert.
John war noch oben, als Lucy und Tom nach Hause kamen. Beide hatten das blonde Haar und die blauen Augen ihrer Mutter geerbt, aber während Lucy wie Lorna von recht stämmiger Statur war, war Tom groß und schlank wie sein Vater. Und im Gegensatz zu Lucy, die fast immer mit finsterer Miene herumlief, war Toms Gesicht normalerweise zu einem breiten Grinsen verzogen.
Mit erhitzten Gesichtern und ganz außer Atem stürmten sie herein. »Geht es Mum schlechter?«, fragten sie wie aus einem Mund.
Daisy brach in Tränen aus. »Sie ist vorhin gestorben«, schluchzte sie. »Dad ist gerade bei ihr.«
Tom eilte zu ihr und nahm sie in die Arme. Er beugte den Kopf, bis sein Gesicht ihre Schulter berührte. Daisy hörte, dass er leise weinte. Lucys Reaktion dagegen überraschte sie.
»War Dad bei ihr, als sie starb?«, wollte sie in anklagendem Ton wissen.
»Nein«, weinte Daisy. »Nur ich. Dad kam zufällig, als der Arzt noch da war.«
»Warum hast du uns nicht Bescheid gesagt?« Lucys blaue Augen wirkten kalt, ihr Blick war argwöhnisch.
Daisy war nicht nach langen Erklärungen zu Mute. »Es ging alles so schnell. Sie meinte, sie glaube, es gehe zu Ende. Ich wollte Dad anrufen und euch im College benachrichtigen, aber sie ließ es nicht zu. Sie wollte nicht einmal, dass ich den Arzt verständige, aber ich habe ihn trotzdem angerufen. Als er kam, war sie schon ein paar Minuten tot.«
»Du hättest uns anrufen müssen, du hattest kein Recht, uns von ihr fern zu halten«, fauchte Lucy. Sie wirbelte herum und rannte laut schluchzend die Treppe hinauf. Tom löste sich von Daisy, verzog das Gesicht zu einer Grimasse und eilte seiner Zwillingsschwester nach.
Die drei blieben über eine Stunde oben, und Daisy hatte das deutliche Gefühl, unerwünscht zu sein. Das ergab einfach keinen Sinn, weil sie nie anders als ihre Geschwister behandelt worden war. Sie hatte niemals den Eindruck gehabt, sich in irgendeiner Weise von den anderen zu unterscheiden, deshalb schmerzte es nun umso mehr, dass sie anscheinend nicht wussten, dass ihr Kummer genauso groß wie der ihres Vaters und der Zwillinge war.
Als ihr Dad viel später herunterkam, saß sie mit Fred in der Küche und weinte noch immer. Es gebe einiges zu erledigen, sagte er in scharfem Ton, zum Beispiel müsse ein Bestattungsunternehmen verständigt werden. Das wusste Daisy selbst, aber hätte er sie nicht wenigstens fragen können, wie es ihr ging? Sie hätte sich gewünscht, er nähme sich die Zeit, mit ihr über die Ereignisse zu sprechen.
Schließlich stand sie auf und machte sich daran, das Abendessen vorzubereiten. Ihr Vater meinte nur, er verstehe nicht, wie sie in einem solchen Augenblick ans Essen denken könne. Nichtsdestotrotz ließen er und die Zwillinge es sich später schmecken, während Daisy keinen Bissen herunterbrachte.
Nachdem die Leute vom Bestattungsunternehmen Lorna abgeholt hatten, gingen die anderen ins Wohnzimmer, und Daisy räumte die Küche
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