Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
können. Doch Daisy brauchte sich nur in dieses Zimmer neben Lorna zu legen, und schon konnte sie ihr die geheimsten Dinge anvertrauen.
»Als du noch ein Baby warst, habe ich dich mit zu mir ins Bett genommen«, bemerkte Lorna und drehte den Kopf, um Daisy anzuschauen. »Dann lag ich da und konnte nicht fassen, wie wunderschön du warst und was für ein Glück ich hatte, dich bekommen zu haben. Und jetzt bist du eine erwachsene Frau von fünfundzwanzig Jahren, und ich denke noch genau das Gleiche.«
Sie wickelte eine von Daisys Korkenzieherlocken um den Finger. »Du hast zuerst überhaupt keine Haare gehabt, und als sie endlich zu wachsen anfingen, dachte ich, sie würden blond und glatt werden. Einen rothaarigen Lockenkopf hab ich nicht erwartet.« Sie lachte leise und strich Daisy zärtlich über die Wange. »Du bist so wunderschön, Dizzie, außerdem hast du Humor und ein großes Herz. Ich bin furchtbar stolz auf dich. Deshalb möchte ich auch, dass du deine leibliche Mutter suchst. Sie soll meine Freude teilen und sehen können, dass ich gut auf dich Acht gegeben habe.«
Lorna hatte wie immer die richtigen Worte gefunden und Daisy ein Argument geliefert, auf das sie nie von allein gekommen wäre. Dennoch konnte sie ihr nichts versprechen, sie wusste, niemand würde Lorna als Mutter das Wasser reichen können.
»Weißt du noch, als ich Windpocken hatte?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
»Hmm«, machte Lorna. Es klang schläfrig.
»Ich hab mir mit Filzstift ein paar Flecken aufgemalt«, gestand Daisy. »Hast du es gemerkt?«
»O ja«, flüsterte Lorna. »Daddy und ich haben darüber gelacht. Wir dachten, du würdest eine gute Schauspielerin abgeben. Du hast immer dazu geneigt, die Dinge zu dramatisieren.«
»Ich liebe dich, Mum«, wisperte Daisy.
Lorna murmelte noch, sie solle sich erst über ihre Gefühle für Joel klar werden, bevor sie ans Heiraten denke. Dann schien sie einzuschlafen.
Nach ein paar Minuten rutschte Daisy zur Bettkante, um aufzustehen und ihren Vater anzurufen. Lorna öffnete noch einmal die Augen. »Sag Daddy und den Zwillingen Lebewohl von mir und dass ich sie liebe«, bat sie mit schwacher Stimme.
Zutiefst beunruhigt, versicherte Daisy hastig: »Sie werden bald zurück sein, dann kannst du es ihnen selbst sagen.«
Sie bekam keine Antwort mehr. Kein Zucken der Augenlider, kein Beben der Lippen verriet, dass Lorna sie gehört hatte.
»O nein«, stieß Daisy hervor. Außer sich vor Angst kniete sie sich aufs Bett, presste das Ohr auf die Brust der Mutter und lauschte. Nichts. Sie packte ihr Handgelenk, suchte den Puls, doch sie spürte ihn nicht mehr. »Mummy, nein!«, schrie sie. Lornas blassblaue Augen schienen starr auf irgendeinen Punkt in der Ferne gerichtet zu sein.
Ihr Verstand sagte ihr, ihre Mutter war tot, und trotzdem konnte sie nicht glauben, dass der Tod so plötzlich und lautlos, ohne Vorwarnung, eingetreten war.
Es war so still, dass sie das Summen der Bienen und den Gesang der Vögel im Garten hören konnte. Früher hätte Lorna so einen warmen, sonnigen Tag zur Gartenarbeit genutzt oder das Bettzeug gewaschen und draußen zum Trocknen aufgehängt. Sie war immer ein praktischer Mensch mit festen Gewohnheiten und geregeltem Tagesablauf gewesen, den nur das Wetter hatte umstoßen können. Daisy hatte sich früher darüber lustig gemacht; es war ihr so stumpfsinnig vorgekommen. In den letzten Wochen jedoch hatte sie Routine zu schätzen gelernt und eine gewisse Befriedigung in der Erledigung alltäglicher, aber wichtiger Aufgaben gefunden. Sie war zu dem Schluss gelangt, dass sie endlich erwachsen geworden war.
Doch als sie jetzt mit tränenüberströmtem Gesicht auf dem Bett kniete und nicht wusste, was sie tun sollte, kam sie sich alles andere als erwachsen vor. Sie fühlte sich eher wie eine hilflose Fünfjährige.
Das schrille Läuten der Türglocke hallte durchs Haus, und Fred schlug an. Daisy lief aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Sie hoffte, dass es der Arzt sein würde.
Er war es. Er warf nur einen kurzen Blick auf ihr verstörtes Gesicht und eilte sofort nach oben ins Schlafzimmer.
Um acht Uhr an jenem Abend zog sich Daisy in ihr Zimmer zurück, nahm Fred mit und schloss die Tür hinter sich. Schluchzend ließ sie sich aufs Bett fallen. Fred schmiegte sich an sie und leckte ihr das Gesicht, als wollte er sie trösten.
Die letzten Stunden waren so seltsam und verwirrend gewesen. Nichts war mehr so, wie es einmal gewesen war; es gab keine
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