Wenn Tote schwarze Füße tragen
immerhin... Wenn uns das nicht noch zum Verhängnis wird! Ihnen ist das
egal, Sie fahren nach Paris zurück. Aber ich werde hierbleiben, und deswegen
wollte ich ein wenig Vorbeugen. Na ja, da meine Aussage nichts an Vaillauds
Überzeugungen geändert hat... Und Laura?“ fügt er plötzlich hinzu. „Wenn Sie
das erfahren wird... Sie wird es auch kaum glauben können.“
„Zu Recht“, sage ich. „Dacosta ist
nicht schuldiger als ich, sowohl was den Verrat von Algier, als auch den Mord
an den beiden Mädchen angeht. Der angebliche Anhalter, von dem ich Vaillaud
erzählt habe, ist ein ehemaliger barbouze, der den Verräter von Algier
gesehen hat. Er hat ihn nicht in Dacosta wiedererkannt. Und jetzt lassen Sie
uns in mein Hotel fahren und das Ganze bei einem Gläschen besprechen.“
* * *
Während ich rede, sieht mich Dorville
die ganze Zeit über mit staunenden Augen an. Nacheinander erzähle ich ihm von
den heimlichen Rendezvous junger Mädchen mit älteren Herren, von meiner
„Entführung“ durch die pieds-noirs, meinem Zusammentreffen mit Hauptmann
Chambord, meiner Unterhaltung mit der blonden Raymonde und Mortaut, dem
ehemaligen barbouze usw. Offensichtlich fragt sich Dorville, ob ich
nicht das eine oder andere hinzudichte.
„Und was ist dann mit Dacosta und
seinem Selbstmord?“ fragt er, als ich meinen Bericht beendet habe.
„Ein Arrangement des wirklichen
Verräters von Algier, mit dem Ziel, alles in Nebel zu hüllen. Wenn die Autopsie
gewissenhaft durchgeführt wird, fördert sie vielleicht zutage, daß Dacosta
betäubt worden war, bevor er aufgeknüpft wurde. Oder man hat ihm eine Überdosis
seines teuflischen Absinths verabreicht, die allein schon ausgereicht hätte,
ihn umzubringen. Schließlich kann man es einem Todeskandidaten nicht verwehren,
sich vor dem Erhängen zu besaufen! Nun, nach der Autopsie wird sich die
Nebelwand verziehen, oder aber sie wird noch dichter werden. Hängt ganz von der
Denkbereitschaft des Kommissars ab. Wenn der sich nämlich weder sein Wochenende
noch seine Arbeitstage verderben lassen will, wird nichts Gescheites dabei
herauskommen. Das heißt: Morde und Selbstmord gehen auf das Konto ein und
desselben Täters, und der Täter heißt Dacosta. Ich weiß allerdings nicht, was
Vaillaud nun tatsächlich denkt... Was Agnès betrifft, so ist sie meiner Meinung
nach nicht im Petit-Chêne getötet worden, sondern bei einem der eben
erwähnten heimlichen Schäferstündchen, als sie die Wahrheit über den Verrat von
Algier herausgefunden hat. Ich werde bald erfahren, wo sich der... Ort des
Verderbens befindet.“
„Wie das denn?“ fragt Dorville, der
von einer Überraschung in die andere fällt.
„Die Adresse und die Namen der
Beteiligten befinden sich in dem Kopf eines jungen Mädchens, das in einem
Erziehungsheim... erzogen wird: Maud Fréval, die von Christine Crouzait das
monatliche Schweigegeld angemahnt hat. Ich habe meine Sekretärin zu ihr
geschickt, um sie zu befragen.“ Zum ersten Mal seit Stunden lächelt Dorville.
Es ist ein schwaches, ungläubiges Lächeln.
„Ach, wissen Sie“, sagt er, „diese
Sorte Mädchen lügen, sobald sie den Mund aufmachen.“
„Man kann aber dennoch versuchen, die
Wahrheit aus ihnen herauszukitzeln. So, wie es mir bei Mortaut gelungen ist,
der ja ansonsten auch nicht grade in die Wahrheit verliebt ist... Apropos, im
Eifer des Gefechts hab ich ganz vergessen, ihn zu fragen, warum er mir den O.
A. S.-Geldschein geklaut hat.“
„Sie... Sie messen diesem Geldschein
immer noch Bedeutung bei? Ich meine, seinem Verschwinden?“
„Ja. Ich bin überzeugt davon, daß er
etwas an sich hat, was uns allen entgangen ist... Verdammt! Vielleicht hat mich
dieser Scheiß- barbouze an der Nase herumgeführt. Er hat möglicherweise
noch einen Trumpf im Ärmel! Beehren wir ihn doch mit unserem Besuch.“
Wir erheben uns. In diesem Augenblick
klingelt das Telefon. Chambord erzählt mir mit betrübter Stimme, daß er seine
Aussage bei der Kripo unterschrieben und dabei von Agnès’ Tod erfahren habe. Er
müsse mich unbedingt „sehen“, fügt er hinzu. Wir verabreden uns zum Abendessen.
Ich lege auf.
„Das war der Hauptmann“, sage ich zu
Dorville. „Ich habe das Gefühl, daß er im Petit-Chêne noch etwas anderes
als Dacosta am Strick entdeckt hat. Wir haben uns zum Abendessen verabredet.
Begleiten Sie mich?“
„Wenn es Sie nicht stört... Ich möchte
nicht gerne allein sein.“
Er zieht ein Päckchen Gitanes aus der Tasche.
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