Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
bist sehr hübsch, wenn du wütend wirst und es nicht zeigen willst, Jen. Mach deinem Ärger nur Luft. Dann fühlst du dich besser.«
Calvin Whitehall schob den Stuhl zurück und ging zu seiner Frau hinüber. Er war ein breitschultriger Hüne von Mitte Vierzig mit derben Gesichtszügen und schütterem
rotem Haar. Seine eisblauen Augen unter den buschigen Brauen strahlten selbst zu Hause Autorität aus.
Man merkte Cal nicht mehr an, daß er aus einfachen Verhältnissen kam. Seit seiner Kindheit in der Doppelhaushälfte in Elmira, New York, war eine Menge Zeit vergangen.
Einem Stipendium in Yale und der Fähigkeit, sich seinen Kommilitonen anzupassen, die alle aus guter Familie stammten, verdankte er seinen kometenhaften Aufstieg in der Geschäftswelt. Er pflegte zu witzeln, von seinen Eltern habe er, wenn auch sonst nicht viel, wenigstens einen wohlklingenden Namen mitbekommen.
Nun bewohnte Cal eine elegante Zwölf-Zimmer-Villa in Greenwich. Er führte genau das Leben, von dem er vor vielen Jahren in seinen kleinen, spärlich möblierten Kinderzimmer immer geträumt hatte. In dieses Zimmer zog er sich vor seinen Eltern zurück, wenn sie wieder einmal zuviel billigen Wein tranken und sich stritten. Wurden die Auseinandersetzungen zu laut oder gewalttätig, riefen die Nachbarn die Polizei. Mit der Zeit konnte Cal das Heulen des Martinshorns, die verächtlichen Blicke der Nachbarn, das Kichern seiner Mitschüler und den Tratsch über seine verkommenen Eltern nicht mehr ertragen.
Er war ein intelligenter Junge und wußte genau, daß nur Bildung ihn aus diesem Milieu retten konnte. Bald fiel auch seinen Lehrern auf, daß er überdurchschnittlich begabt war. In seinem Zimmer, in dem der Fußboden durchhing, die Farbe von den Wänden blätterte und eine einzige Lampe ein dämmriges Licht verbreitete, las und büffelte er bis spät in die Nacht und eignete sich vor allem soviel Computerkenntnisse wie möglich an.
Nachdem er mit vierundzwanzig seinen Abschluß als Betriebswirt gemacht hatte, ergatterte er eine Stelle bei einer aufstrebenden Computerfirma. Mit dreißig zog er nach Greenwich und bootete kurzerhand den entgeisterten Firmenchef
aus dessen eigenen Unternehmen aus. Es war seine erste Gelegenheit, Katz und Maus zu spielen und seine Beute in dem Bewußtsein zu hetzen, daß er den Sieg davontragen würde. Sein Triumph linderte seine schwelende Wut auf seinen gewalttätigen Vater und darauf, daß er es einmal nötig gehabt hatte, sich bei verschiedenen Chefs lieb Kind zu machen.
Einige Jahre später verkaufte er die Firma mit Riesengewinn und war inzwischen Inhaber einer Reihe von Unternehmen.
Seine Ehe war kinderlos geblieben. Er war erleichtert, daß Jenna sich ihrer New Yorker Anwaltskanzlei widmete, anstatt sich wie Molly Lasch in ihre Enttäuschung über die ihr versagte Mutterschaft hineinzusteigern. Jenna war – wie der Umzug nach Greenwich – Teil seiner Aufstiegspläne. Sie war ausgesprochen attraktiv und klug und kam aus einer guten, wenn auch verarmten Familie. Cal wußte genau, wie angenehm Jenna es fand, daß er ihr etwas bieten konnte. Sie genoß die Macht ebenso wie er.
Auch mit ihr spielte er gern. Nun lächelte er sie wohlwollend an und strich ihr über das Haar. »Es tut mir leid«, murmelte er zerknirscht. »Ich dachte nur, Molly hätte sich über einen Besuch von dir gefreut, obwohl sie nicht zurückgerufen hat. Es muß sehr schwer für sie sein, in ein leeres Haus zurückzukehren, und sicher ist sie verdammt einsam. Im Gefängnis war sie schließlich ständig unter Leuten, auch wenn sie sich in dieser Gesellschaft bestimmt nicht wohlgefühlt hat.«
Jenna schob die Hand ihres Mannes weg. »Hör auf. Du weißt, daß ich es nicht leiden kann, wenn du mir die Haare zerwühlst. Ich habe morgen früh eine Sitzung und muß dafür noch einen Schriftsatz durcharbeiten«, verkündete sie.
»Ein guter Anwalt soll immer seine Hausaufgaben machen. Du hast mich noch gar nicht gefragt, wie die Besprechungen heute gelaufen sind.«
Cal war Vorsitzender des Direktoriums der Lasch-Klinik und des Remington-Gesundheitsdienstes. Zufrieden lächelnd fügte er hinzu: »Es steht noch ein wenig auf der Kippe. American National Insurance hat es nämlich ebenfalls auf die Gesundheitsdienste abgesehen, aber wir werden den Zuschlag kriegen. Und dann sind wir der größte Gesundheitsdienst an der Ostküste.«
Jenna sah ihren Mann mit widerwilliger Bewunderung an. »Du bekommst anscheinend immer, was du
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