Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
Befürchtungen. Sie hatte keineswegs vor, ihre Eltern nach Greenwich einzuladen.
»Irgendwann später vielleicht«, erklärte sie mit Nachdruck. »Philip, ich will Annamarie Scalli finden. Haben Sie Ihre letzte Adresse?«
»Lassen Sie bitte die Finger davon, Molly. Es ist vorbei. Sie müssen wieder ein normales Leben führen.«
»Genau das versuche ich ja. Und deshalb muß ich mit ihr sprechen.«
Philip seufzte. »Als letzte Adresse ist die Wohnung angegeben, in der sie auch zur Zeit von Garys Tod lebte. Wo sie jetzt wohnt, weiß ich nicht.«
Er ahnte, daß sie gleich auflegen würde, wollte das Gespräch jedoch noch nicht beenden. »Molly, ich komme bei Ihnen vorbei. Wenn Sie sich weigern, mit mir essen zu gehen, hämmere ich so lange an Ihre Tür, bis die Nachbarn die Polizei rufen.«
Das traute Molly ihm durchaus zu, denn er hatte dieselbe Entschlossenheit in der Stimme wie damals vor Gericht im Kreuzverhör. Offenbar war er ziemlich dickköpfig und daran gewöhnt, seinen Willen durchzusetzen. Aber sie wollte ihn noch nicht wiedersehen. »Philip, ich möchte noch ein wenig länger allein sein. Heute ist Donnerstag. Warum kommen Sie nicht am Samstag zum Abendessen? Ich habe keine Lust auszugehen. Ich koche uns lieber etwas.«
Nach kurzem Zögern nahm er die Einladung an und beschloß, sich bis auf weiteres damit zufriedenzugeben.
19
E dna Barry war gerade dabei, ein Brathuhn zu glasieren, eins von Wallys Leibgerichten, vor allem wenn sie die Füllung selbst machte. In Wahrheit bestand die Füllung aus einer Fertigmischung, doch Edna verfeinerte sie stets mit gedünsteten Zwiebeln, Stangensellerie und einer zusätzlichen Prise Brathuhn-Gewürzmischung.
Ein köstlicher Duft zog durchs Haus, und Ednas Nerven beruhigten sich beim Kochen. Sie erinnerte sich an die Zeit, als ihr Mann Martin noch lebte. Damals war Wally ein aufgeweckter, gesunder kleiner Junge gewesen. Nach Ansicht der Ärzte war die Veränderung in ihrem Sohn nicht durch Martins Tod ausgelöst worden. Sie sagten, Schizophrenie sei eine psychische Krankheit, die häufig erst bei Halbwüchsigen und jungen Erwachsenen ausbrach.
Doch Edna glaubte nicht daran. »Wally vermißt eben seinen Vater«, pflegte sie den Leuten zu erklären.
Hin und wieder sprach Wally davon, daß er einmal heiraten und eine Familie gründen wollte. Aber Edna wußte inzwischen, daß das wahrscheinlich nie geschehen würde. Die Menschen fühlten sich in seiner Gegenwart unwohl, weil er so leicht gekränkt war und rasch die Beherrschung verlor.
Ständig machte sich Edna Sorgen, was einmal nach ihrem Tod aus Wally werden sollte. Solange sie lebte, würde sie sich um ihn kümmern und ihn dazu bringen, seine Medikamente zu nehmen, obwohl sie wußte, daß er sie manchmal wieder ausspuckte.
Mit Dr. Morrow hatte sich Wally sehr gut verstanden – ein Jammer, daß er tot war.
Während sie den Backofen schloß, dachte sie an Jack Morrow, den energischen jungen Arzt, der mit Patienten wie Wally so gut zurechtgekommen war. Morrow war Allgemeinmediziner
gewesen und hatte seine Praxis im Erdgeschoß seines kleinen Häuschens drei Straßen weiter. Nur zwei Wochen vor Dr. Laschs Tod war er erschossen aufgefunden worden.
Selbstverständlich hatten sich die Umstände völlig von denen im Fall Lasch unterschieden. Da Dr. Morrows Medikamentenschrank aufgebrochen und geplündert worden war, ging die Polizei von einem Drogendelikt aus. Alle Patienten waren vernommen worden. Zum Glück, wie Edna sich sagte, hatte sich ihr Sohn kurz zuvor den Knöchel gebrochen, und sie hatte ihn angewiesen, die Schiene noch einmal anzulegen, ehe die Polizei kam.
Nach nur einem Tag war ihr klargeworden, daß sie nicht wieder als Haushälterin bei Molly Lasch hätte anfangen dürfen. Es war zu gefährlich. Schließlich bestand immer die Möglichkeit, daß Wally – wie damals, ein paar Tage vor Dr. Laschs Tod – den Weg zu ihrem Haus fand. Obwohl sie ihm befohlen hatte, in der Küche zu warten, war er in Dr. Laschs Arbeitszimmer gegangen und hatte die Remington-Skulptur hochgehoben.
Würden die Sorgen denn niemals aufhören? fragte sich Edna. Wahrscheinlich nicht. Seufzend begann sie, den Tisch zu decken.
»Mom, Molly ist doch wieder zu Hause?«
Edna blickte auf. Wally stand in der Tür. Er hatte die Hände in den Taschen, das dunkle Haar fiel ihm in die Stirn. »Warum interessiert dich das, Wally?« fragte sie streng.
»Weil ich sie sehen will.«
»Du darfst auf keinen Fall zu ihrem Haus
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