Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
ich kenne, flehte sie. Und hoffentlich bemerkt mich niemand aus einem vorbeifahrenden Auto. Sie kam an Kathryn Buschs Haus vorbei, einem hübschen Gebäude im Kolonialstil an der Ecke der Lake Avenue. Kathryn hatte dem Vorstand der Philharmonischen Gesellschaft angehört und sich sehr für die Gründung eines Kammermusikensembles eingesetzt.
Bobbitt Williams ebenfalls, dachte Molly und sah das Gesicht ihrer Mitschülerin vor sich, das sie schon fast vergessen zu haben glaubte. Bobbitt war mit Jenna, Fran und mir in einer Klasse, doch wir waren nie sehr eng befreundet, und später ist sie nach Darien gezogen.
Beim Laufen bekam Molly wieder einen klaren Kopf und nahm die Häuser ihrer Nachbarn und die Straßen bewußter wahr. Die Browns hatten angebaut, die Cateses hatten ihr Haus gestrichen. Plötzlich fiel ihr auf, daß sie seit jenem Tag vor mehr als fünfeinhalb Jahren, als man sie in Ketten und Handschellen zum Niantic-Gefängnis gebracht hatte, zum erstenmal wieder allein auf der Straße war.
Der kalte Wind wirkte auf Molly erfrischend. Die saubere Luft zerzauste ihr Haar, füllte ihre Lungen und gab
ihr das Gefühl, daß ihr ganzer Körper Zentimeter für Zentimeter wieder zum Leben erwachte.
Als sie drei Kilometer zurückgelegt hatte und wieder zu ihrem Haus zurückkehrte, atmete sie schwer und hatte Seitenstechen. Sie wollte schon zur Küchentür gehen, doch ein plötzlicher Impuls ließ sie den mit Rauhreif bedeckten Rasen überqueren und auf das Fenster von Garys früherem Arbeitszimmer zusteuern. Sie schob die Büsche beiseite und spähte hinein.
Im ersten Moment erwartete sie fast, den eleganten, antiken Schreibtisch, die Mahagonitäfelung an den Wänden, die medizinischen Fachbücher in den Regalen und die Skulpturen und Bilder aus Garys wertvoller Sammlung zu sehen. Doch statt dessen erblickte sie nur ein ganz gewöhnliches Zimmer in einem Haus, das für eine Person viel zu groß war. Das neutrale Chintzsofa und die hellen Eichentische gefielen ihr auf einmal gar nicht mehr.
Ich stand auf der Schwelle und sah nach draußen.
So rasch wie ihr der Gedanke durch den Kopf geschossen war, war er auch schon wieder verschwunden.
Da es Molly peinlich gewesen wäre, wenn man sie beobachtet hätte, wie sie durch das Fenster ihres eigenen Hauses lugte, drehte sie sich um und ging durch die Küchentür hinein. Während sie ihre Turnschuhe auszog, überlegte sie, daß die Zeit gerade noch für einen Kaffee und ein Brötchen reichte, bevor Mrs. Barry kam.
Mrs. Barry.
Wally .
Warum ist ausgerechnet er mir jetzt eingefallen? fragte sich Molly. Sie ging nach oben, um endlich zu duschen.
Am späten Nachmittag rief Fran an, die sich gerade in ihrem Büro auf die Abendnachrichten vorbereitete. »Nur eine kurze Frage, Molly«, sagte sie. »Kennst du Dr. Jack Morrow?«
Molly erinnerte sich an einen Vormittag vor vielen, längst vergessenen Jahren, als ein Anruf sie und Gary beim Frühstück gestört hatte. Sie hatte sofort gewußt, daß es sich um eine schlechte Nachricht handelte, denn Garys Gesicht wurde aschfahl, während er schweigend lauschte. »Jack Morrow wurde erschossen in seiner Praxis aufgefunden«, flüsterte er, nachdem er eingehängt hatte. »Es ist irgendwann gestern abend passiert.«
»Nur flüchtig«, antwortete Molly Fran. »Er war ein Mitarbeiter der Klinik, und ich bin ihm ein paarmal bei Weihnachtsfeiern oder ähnlichen Gelegenheiten begegnet. Er und Gary wurden in einem Abstand von zwei Wochen ermordet.«
Sie wurde sich ihrer eigenen Worte bewußt und konnte sich ausmalen, wie sie auf Fran wirken mußten. »Sie wurden ermordet.« Ein Schicksal, das zwei Männern widerfahren war, aber nichts mit ihr zu tun hatte. Wenigstens den Mord an Jack Morrow kann mir niemand in die Schuhe schieben, dachte sie. Am besagten Abend waren Gary und ich bei einer Dinnerparty. Sie erklärte das Fran.
»Molly, ich wollte doch nicht andeuten, daß du Dr. Morrow auf dem Gewissen hast«, entgegnete Fran. »Ich habe ihn nur erwähnt, weil ich etwas Interessantes herausgefunden habe. Wußtest du, daß er in Annamarie Scalli verliebt war?«
»Nein.«
»Es kristallisiert sich immer mehr heraus, daß ich mit Annamarie sprechen muß. Hast du eine Ahnung, wo sie steckt?«
»Ich habe Jenna bereits gebeten, Cals Leute auf sie anzusetzen. Aber Jen sagt, Cal wolle sich nicht in die Angelegenheit einmischen.«
»Du hast mir verschwiegen, daß du Annamarie ebenfalls finden willst, Molly«, meinte Fran nach einer
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