Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
in Greenwich gewohnt. Tasha, die Jura studierte und Semesterferien hatte, kam ins Eßzimmer gelaufen. Sie trug eine Trainingshose und hatte das rote Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihre klugen, dunkelblauen Augen funkelten lebhaft. In einer Woche würde sie ihren vierundzwanzigsten Geburtstag feiern. »Bis später«, rief sie, und dann war sie fort.
Das waren ihre letzten Worte gewesen.
Eine Stunde später war der Anruf gekommen. Barbara und Charles waren auf schnellstem Wege in die Lasch-Klinik gefahren. Man hatte ihnen mitgeteilt, es habe einen Unfall gegeben. Tasha sei ins Krankenhaus eingeliefert worden. Barbara erinnerte sich an die kurze Fahrt in die Klinik und die Angst, die sie empfunden hatte. »Bitte, lieber
Gott, bitte«, hatte sie ein ums andere Mal zum Himmel gefleht.
Jonathan Lasch war der Hausarzt von Barbaras Familie gewesen, als die Kinder noch klein waren. Deshalb war es ein Trost für sie, daß sein Sohn Gary Tasha behandeln würde. Doch als sie Gary in der Notaufnahme traf, erkannte sie an seiner Miene, daß etwas Schreckliches geschehen war.
Er berichtete, Tasha sei beim Joggen gestürzt und mit dem Kopf auf die Bordsteinkante geschlagen. Die Verletzung selbst sei nicht schwer, doch sie habe vor ihrer Einlieferung ins Krankenhaus einen Herzstillstand erlitten. »Wir tun alles, was wir können«, versprach er. Aber bald hatte sich herausgestellt, daß jede Hilfe zu spät kam. Der Anfall hatte die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn unterbrochen und nicht wieder gutzumachende Schäden verursacht. Tasha konnte zwar noch atmen, war aber eigentlich tot.
Wir sind die mächtigste Zeitungsverlegerfamilie des Landes und konnten trotz unseres Vermögens nichts für unsere einzige Tochter tun, dachte Barbara. Sie nickte Dan zu, ein Zeichen, daß sie bereit zum Aussteigen war.
Da er bemerkte, wie schwer ihr heute das Gehen fiel, bot er ihr den Arm. »Der Weg könnte ein wenig vereist sein, Mrs. Colbert«, meinte er. »Ich bringe Sie zur Tür.«
Nachdem sie und ihr Mann sich damit abgefunden hatten, daß Tasha nie wieder gesund werden würde, hatte Gary Lasch sie gedrängt, sie in dem Pflegeheim unterzubringen, das neben der Klinik gebaut werden sollte.
Er hatte ihnen die Pläne für das schlichte Gebäude gezeigt. Für die Colberts war es eine willkommene Ablenkung gewesen, einen Architekten zu beauftragen und eine hohe Summe zu spenden, die eine großzügigere Gestaltung der Einrichtung ermöglichte. Nun waren die Zimmer
hell und geräumig, verfügten über ein eigenes Bad und gemütliche, heimelig wirkende Möbel. Die medizinische Ausrüstung war auf dem neuesten Stand. Die Patienten, deren Leben wie das von Tasha jäh und sinnlos zerstört worden war, erhielten nun alle Pflege, die man für Geld bekommen konnte.
Für Tasha hatte man eine eigene Drei-Zimmer-Wohnung reserviert, die ihren Räumen zu Hause glich wie ein Ei dem anderen. Rund um die Uhr wurde sie von einer Schwester und einer Schwesternhelferin versorgt. Tag und Nacht spielte klassische Musik, die Tasha so geliebt hatte. Und jeden Tag brachte man sie vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer, das auf einen privaten Garten hinausging.
Dank der Krankengymnastik, Gesichtspflege, Massagen, Pediküren und Maniküren hatte ihre Schönheit kaum gelitten. Ihr immer noch flammend rotes Haar wurde täglich gewaschen und gebürstet und fiel ihr offen über die Schultern. Sie trug Pyjamas und Morgenmäntel aus Seide, und die Schwestern hatten strenge Anweisung, mit ihr zu sprechen, als ob sie sie verstehen könnte.
Barbara erinnerte sich an die Zeit, in der Charles und sie Tasha fast täglich besucht hatten. Aber bald wurden aus den Monaten Jahre, und sie hatten die Besuche wegen psychischer und körperlicher Erschöpfung auf zweimal pro Woche verringert. Nach Charles’ Tod hatte Barbara widerwillig den Rat ihrer Söhne angenommen, das Haus in Greenwich zu verkaufen und in die New Yorker Stadtwohnung zu ziehen. Inzwischen kam sie nur noch einmal wöchentlich hierher.
Wie immer durchquerte Barbara den Empfangsbereich und ging den Flur entlang zur Wohnung ihrer Tochter. Die Schwestern hatten Tasha auf das Wohnzimmersofa gesetzt. Barbara wußte, daß sich unter der Decke Riemen befanden, die Tasha fest auf die Polster schnallten, damit sie nicht umfiel
oder sich durch unwillkürliche Muskelzuckungen selbst verletzte.
Der Anblick von Tashas ruhiger, entspannter Miene tat Barbara weh. Manchmal glaubte sie, eine Bewegung der Augen zu bemerken oder vielleicht
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