Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
machte sie sich daran, die medizinischen und wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu sortieren, die Gary, chronologisch geordnet, in den Regalen aufbewahrt hatte. Es waren verschiedene Publikationen, und offenbar hatte er einen Grund gehabt, sie aufzuheben. Beim Durchblättern stellte sie fest, daß er in nahezu jeder Zeitschrift mindestens einen Artikel im Inhaltsverzeichnis angekreuzt hatte. Wahrscheinlich kann ich sie wegwerfen, überlegte sie. Aber dann beschloß sie aus Neugier, die Artikel kurz zu überfliegen, nachdem sie mit dem Aufräumen fertig war. Sie wollte wissen, welche Bedeutung diese Zeitschriften für Gary gehabt hatten.
Es läutete an der Hintertür. »Molly, ich bin es«, hörte sie Mrs. Barry rufen.
»Ich bin im Arbeitszimmer«, antwortete Molly und fuhr mit ihrer Arbeit fort. Dann hielt sie inne und lauschte auf Mrs. Barrys Schritte, die den Flur entlangkamen. Wie immer klangen sie sehr laut, was Molly auch früher schon öfter aufgefallen war. Mrs. Barry trug stets Gesundheitsschuhe mit Gummisohlen, die auf dem Boden ein durchdringendes Quietschen verursachten.
»Es tut mir wirklich furchtbar leid, Molly«, sagte Mrs. Barry, noch ehe sie richtig im Zimmer stand.
Als Molly aufblickte, wurde ihr sofort klar, daß Mrs. Barry nicht gekommen war, um sich zu entschuldigen.
Ihre Miene war entschlossen, und sie hatte die Lippen fest zusammengepreßt. In der Hand hielt sie den Hausschlüssel. »Ich weiß, daß es nach all den Jahren nicht sehr anständig von mir ist, aber ich kann nicht mehr bei Ihnen arbeiten. Ich möchte sofort kündigen.«
Verwundert erhob sich Molly. »Mrs. Barry, doch nicht wegen dieses Schlüssels. Wir beide glauben, daß wir im Recht sind, aber es gibt sicher eine vernünftige Erklärung dafür. Außerdem weiß ich bestimmt, daß Fran Simmons die Antwort finden wird. Sie müssen verstehen, warum mir das so wichtig ist. Wenn jemand mit dem Schlüssel, der im Garten versteckt war, ins Haus eingedrungen ist, könnte er ihn auch in die Schublade gelegt haben. Vielleicht ist ein Unbekannter, der von dem Versteck wußte, an jenem Sonntag abend hereingekommen.«
»Es war ganz eindeutig niemand da«, entgegnete Edna Barry mit schriller Stimme. »Und ich kündige auch nicht wegen des Schlüssels. Ich bedauere, Ihnen das sagen zu müssen, Molly, aber ich habe Angst, weiter für Sie zu arbeiten.«
»Angst!« Entgeistert starrte Molly die Haushälterin an. »Wovor denn?«
Edna Barry wich ihrem Blick aus.
»Doch nicht etwa vor mir? Oh, mein Gott.« Entsetzt streckte Molly die Hand aus. »Geben Sie mir den Schlüssel, Mrs. Barry. Und dann gehen Sie bitte. Sofort.«
»Sie müssen Verständnis für meine Situation haben, Molly. Es ist nicht Ihre Schuld, aber Sie haben zwei Menschen getötet.«
»Verschwinden Sie, Mrs. Barry.«
»Lassen Sie sich helfen, Molly.«
Mrs. Barry schluchzte auf und stürzte hinaus. Molly wartete, bis ihr Auto von der Auffahrt in die Straße einbog. Dann sank sie auf die Knie, schlug die Hände vors Gesicht und wiegte sich wimmernd hin und her.
Sie kennt mich seit meiner Geburt und hält mich dennoch für eine Mörderin. Niemand wird mir glauben. Was für eine Chance habe ich noch?
Edna Barry, die ein paar Straßen weiter an einer roten Ampel wartete, sagte sich immer wieder, daß ihr nichts anderes übriggeblieben war, als ihre Kündigung so zu begründen. Auf diese Weise würde ihre Geschichte mit dem Schlüssel glaubwürdiger erscheinen, und außerdem würden sich Leute wie Fran Simmons nicht mehr für Wally interessieren. Tut mir leid, Molly, dachte Edna, als ihr Mollys gekränkter Blick einfiel, aber Blut ist nun mal dicker als Wasser.
61
C alvin Whitehall verzehrte das Mittagessen, das die Haushälterin ihm auf einem Tablett im Arbeitszimmer serviert hatte, und brüllte zwischen den Bissen Lou Knox Befehle zu. Den ganzen Vormittag war er schon schlechter Laune, wohl, wie Lou annahm, weil Fran Simmons ihm allmählich gefährlich zu werden drohte. Lou wußte, daß sie ständig anrief, um einen Termin zu vereinbaren, und von Cal mit vagen Versprechungen abgewimmelt wurde. Außerdem hatte Lou ein Gespräch zwischen Jenna und Cal belauscht und mitbekommen, daß die Simmons heute mittag mit Peter Black verabredet gewesen war.
Als um halb eins das private Telefon läutete, vermutete Lou, daß Black von seinem Treffen mit Fran Simmons berichten wollte. Er hatte sich nicht getäuscht, und offenbar war Blacks Schilderung nicht dazu angetan, Cals Stimmung zu
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