Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
einige Briefe und Postkarten.
Als Lucy gerade mit rotgeweinten Augen die Fotos betrachtete, die sie durch den Tränenschleier kaum erkennen konnte, rief Fran Simmons an.
»Ich weiß, wer Sie sind«, zischte Lucy zornig. »Sie sind die Reporterin, die diese schmutzige Geschichte wieder an die Öffentlichkeit zerren will. Hören Sie auf, mich zu belästigen, und lassen Sie Annamarie in Frieden ruhen.«
»Mein aufrichtiges Beileid«, sagte Fran, die in ihrem Büro in Manhattan saß. »Aber ich möchte Sie warnen. Wenn Molly Lasch wegen Mordes vor Gericht kommt, ist es um Annamaries Frieden schlecht bestellt. Mollys Anwalt wird nichts anderes übrigbleiben, als Annamarie in einem ziemlich ungünstigen Licht erscheinen zu lassen.«
»Das ist ungerecht!« schrie Lucy. »Annamarie hat die Ehe der Laschs nicht zerstört. Als sie Gary Lasch kennenlernte, war sie noch ein Kind.«
»Molly auch«, erwiderte Fran. »Und je mehr ich über die Hintergründe erfahre, desto stärker bedauere ich die beiden, Mrs. Bonaventure. Morgen vormittag fliege ich nach Buffalo, und ich möchte mich gern mit Ihnen treffen. Bitte vertrauen Sie mir. Ich will nur der Wahrheit auf den Grund kommen. Nicht nur, was Annamaries Tod angeht, sondern auch über die Vorgänge, die sich vor sechs Jahren in der Klinik ereigneten, wo sie arbeitete. Außerdem möchte ich wissen, wovor Annamarie solche Angst hatte. Sicher haben Sie auch bemerkt, daß sie sich fürchtete.«
»Ja. Etwas ist in der Klinik passiert, und zwar kurz vor Gary Laschs Tod«, erwiderte Lucy mit tonloser Stimme. »Ich komme morgen nach Yonkers, um Annamaries Wohnung auszuräumen. Sie brauchen also nicht nach Buffalo zu fliegen. Wir können uns dort sehen, Miss Simmons.«
60
A m Donnerstag nachmittag rief Edna Barry Molly an und fragte, ob sie mit einem kurzen Besuch einverstanden sei.
»Aber natürlich, Mrs. Barry«, erwiderte Molly absichtlich kühl. Schließlich hatte Edna Barry, was den Ersatzschlüssel anging, auf ihrem Standpunkt beharrt und in
feindseligem Ton behauptet, Molly litte an Gedächtnislücken. Ob sie sich entschuldigen will? überlegte Molly, während sie weiter die Unterlagen durchsah, die sie vor sich auf dem Boden im Arbeitszimmer ausgebreitet hatte.
Gary war ein äußerst ordentlicher und penibler Mensch gewesen. Doch nun waren seine persönlichen Papiere und medizinischen Nachschlagewerke dank der polizeilichen Durchsuchung wild durcheinandergeworfen und willkürlich wieder zusammengeschichtet worden. Aber eigentlich spielte das keine Rolle. Molly hatte ja Zeit im Überfluß.
Sie hatte einen Stoß Fotos beiseitegelegt, die sie seiner Mutter schicken wollte. Natürlich keine, auf denen ich zu sehen bin, dachte sie bitter. Nur Gary mit verschiedenen Prominenten.
Mrs. Lasch und ich standen uns nie sehr nahe, sagte sie sich. Und ich habe Verständnis dafür, daß sie mich haßt. Ich würde der Frau, die ich für die Mörderin meines einzigen Kindes halte, gewiß auch keine freundschaftlichen Gefühle entgegenbringen. Wahrscheinlich haben die Berichte über Annamarie Scallis Tod sie wieder an ihren Verlust erinnert, und sicher wird sie von Reportern belästigt.
Sie erinnerte sich an ihr Gespräch mit Annamarie. Wer wohl Garys Sohn adoptiert hat? überlegte sie. Ich war so gekränkt, als ich erfuhr, daß Annamarie schwanger war. Ich verabscheute und beneidete sie. Aber selbst nun, da ich die Hintergründe besser kenne und weiß, daß Gary mich betrogen hat, sehne ich mich nach dem Kind, das ich verloren habe.
Vielleicht bekomme ich eines Tages ja eine neue Chance.
Molly saß im Schneidersitz auf dem Boden, als ihr dieser Gedanke in den Sinn kam. Die Vorstellung, daß sie irgendwann möglicherweise die Gelegenheit zu einem Neuanfang haben würde, erschreckte sie fast. Ich mache mir etwas vor, sagte sie sich kopfschüttelnd. Sogar Jenna, meine beste Freundin, ist überzeugt davon, daß ich nur die Wahl zwischen Gefängnis oder Anstalt habe. Deshalb darf ich
mir nicht einreden, daß dieser Alptraum jemals ein Ende haben könnte.
Aber sie hatte noch Hoffnung und wußte auch, warum. Der Grund war, daß immer mehr Erinnerungen an die Oberfläche stiegen, längst vergangene Augenblicke, die tief in ihrem Unterbewußtsein vergraben gewesen waren, kamen nun allmählich ans Licht. Als ich gestern abend die Tür verriegelte, ist etwas geschehen. Sie dachte an das seltsame Gefühl, das sie in diesem Moment ergriffen hatte. Doch sie konnte es noch nicht deuten.
Also
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