Wenn Zaertlichkeit dein Herz beruehrt
an. Seine Züge verhärteten sich, doch dann ließ er das Kleingeld klimpernd vor sie auf das Holz fallen. Sie steckte die Münzen in ihre Tasche und wandte sich ihrem Bier zu.
Sie schob die Brille hoch, bevor sie einen tiefen Schluck nahm - und sich fast verschluckte, denn das Bier hatte einen sehr herben Geschmack und war lauwarm. Sie verließ ihren Platz an der Bar, wanderte langsam Richtung Klavier und lauschte auf die Gespräche um sie herum.
»Die Viehdiebe sind zu einer Plage geworden. Ich habe bei einer Schießerei einen Mann verloren.«
»Eine Schauspieltruppe soll auf dem Weg hierher sein.«
»In Doc MacLarens Praxis ist schon zum zweiten Mal eingebrochen worden.«
»Wieso gibt es hier eigentlich so viele Iren?« Bei dieser Bemerkungwandten sich einige Köpfe dem stämmigen Sprecher zu.
»Was hat eigentlich Sam zu der armen Kelly Galloway gesagt?«
»Verdammte Iren«, meinte ein anderer, und Victoria spürte, wie die Spannung im Raum anstieg. Die anderen Frauen spürten es ebenfalls und verschwanden unauffällig und schnell.
An einem der Tische saß ganz allein ein Mann mit düsterem Gesicht, rot geränderten Augen und sturzbetrunken. Er murmelte eine Bemerkung vor sich hin, die einige der anderen Gäste aufspringen ließ. Victoria trank einen Schluck und stellte dann die noch halb volle Flasche auf den nächsten Tisch, entschlossen, hier zu verschwinden, bevor der Ärger losbrach. Sie war schon fast an der Tür, als sie plötzlich eine klare, angenehme Stimme hörte.
»Aber meine Herren, wer wird sich denn gleich so aufregen?«
Ihr Magen zog sich krampfhaft zusammen.
Ivy League.
Sie blieb abwartend stehen, drehte sich aber nicht um. Sein gut aussehendes, jungenhaftes Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf, sie versuchte, sich ganz genau den Klang seiner Stimme zurückzurufen, damit sie Erinnerung und Wirklichkeit miteinander vergleichen konnte.
»Wir wollen uns doch alle nur amüsieren - und außerdem kann ich mir noch mehr zerschlagenes Mobiliar nun wirklich nicht leisten.« Die Männer lachten, Victoria aber lief ein Schauder über den Rücken. »Die nächste Runde geht auf Kosten des Hauses!«
Zustimmende Rufe brandeten auf, und sie zwang sich, sich herumzudrehen. Sie hatte gehofft, dass sie ihn nicht hier in der Stadt finden würde, sondern dass er draußen in den Hügeln läge und vor Erschöpfung gestorben wäre. Doch er lächelte, zog nur ein Bein leicht nach, als er sich auf einen Spazierstock gestützt zwischen seinen Gästen bewegte und sich für seine Großzügigkeit loben ließ. Er trug einen eleganten dunkelblauen Anzug - dazu ein weißes Hemd, Brokatweste und eine goldene Uhr - und wirkte gottverdammt perfekt bis hin zu den glänzenden Schlangenlederstiefeln. Sein sandfarbenes Haar war jetzt länger und glatt zurückgekämmt, was sein gutes Aussehen nur noch mehr betonte - mit diesem angenehmen Äußeren hatte er elf nichtsahnende Frauen für sich eingenommen.
»Meine Anerkennung, dass Sie den Saloon gewonnen haben«, meinte ein Mann, der an einem der Spielertische saß und einen Stapel Geld vor sich hegen hatte. »Er war noch nie so gepflegt wie jetzt.«
»Danke, Ezera«, erwiderte Ivy League und drückte die Schulter des Mannes, bevor er sein Tausend-Dollar-Lächeln anknipste. »Das heißt ja wohl, dass Sie mir als Gast erhalten bleiben und weiterhin Ihr Geld hier ausgeben werden.«
Geschickt, dachte sie, und so glatt wie die Klinge eines Rasiermessers, die über zarte Haut gleitet.
Die Gäste lachten, und Victoria hätte ihm am liebsten eine Kugel mitten zwischen seine blauen Augen geschossen.
Algenon Becket.
Millionär und Mörder. Coles Killer.
Er war hier in der Tat kein Fremder mehr. Er war der Besitzer dieses Saloons.
Und verantwortlich für den Tod zwölf unschuldiger Opfer.
Ivy League schien sich hier niedergelassen zu haben und konnte sich in aller Ruhe sein nächstes Opfer aussuchen.
Hewlett-Packard
6
Der Saloon erschien Victoria plötzlich als zu klein, die Luft als zu stickig. Sie stieß die Tür auf und trat hinaus auf den überdachten Gehsteig, wo sie erst einmal tief Luft holte. Langsam stieg sie die Stufen hinunter und streifte dabei mit ihren Schultern einen Mann, der ihr entgegenkam.
»'Tschuldigung, Kumpel«, murmelte sie und wollte weitergehen.
»Zu viel Bier getrunken?«
Victoria blieb wie angewurzelt stehen. Nicht er. Nicht jetzt, dachte sie und versuchte, eine möglichst ausdruckslose Miene aufzusetzen, bevor sie sich umdrehte.
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