Wenn Zaertlichkeit dein Herz beruehrt
versuchen, eine Frau zu schlagen, dann könnte sie Sie dafür vielleicht umbringen.« Noch während sie die letzten Worte sprach, zog sie das Messer heraus. Er brüllte auf wie ein verwundetes Tier, und die Frauen hinter ihr stöhnten.
Victoria trat zurück, als er eine Hand auf seine Wunde legte. »Und jetzt verschwinden Sie endlich!«, sagte sie und zeigte auf die Tür.
Er schlug einen Bogen um sie und ging unsicher zur Tür. »Das wird der Marshal erfahren!«, drohte er.
»Was mir nur recht sein soll!«
Die Frauen eskortierten ihn nach draußen und achteten darauf, dass er auch wirklich das Haus verließ. Victoria spürte noch immer die Nachwirkungen des Adrenalinstoßes. Sie blickte auf das Messer in ihrer Hand. Es machte ihr Angst, wie leicht es ihr gefallen war, ihn damit zu verwunden. War sie wie er? Wie Ivy League?
Unsinn, antwortete sie sich gleich darauf selbst. Sie suchte sich nicht die Schwachen als Opfer aus. Sie hatte ihn nicht umgebracht. Sie hatte ihn nicht so lange verfolgt, bis er zu viel Angst hatte, um sich noch wehren zu können.
Sie atmete ganz langsam aus, dann wischte sie das Messer an ihrer Schürze ab und steckte es wieder weg.
Vel stand immer noch da, stützte Lila und betrachtete Victoria mit einem merkwürdigen Ausdruck. »Du hast mich ganz schön überrascht, Clara!«, sagte sie.
»Ich mich selbst auch«, erwiderte Victoria mit einem schwachen Lächeln. Dann half sie Vel, Lila ins Bett zu bringen. Die anderen Frauen waren inzwischen zurückgekehrt, redeten aufgeregt durcheinander und drängten sich an der Tür, während Vel und Victoria Lilas Verletzungen versorgten und ihr ein Pulver gegen den Schmerz gaben. Doch plötzlich schwiegen die Frauen, und Victoria spürte, wie sich die feinen Härchen in ihrem Nacken aufrichteten.
Ivy League stand in der Tür, und mit einem Blick erfasste er die Situation: das zerbrochene Mobiliar, Lilas Gesicht, Victoria. Dee hing wie ein verängstigtes Kind an seinem Arm. Mit einer Handbewegung schickte er die anderen Frauen in ihre Zimmer.
»Danke.« Er machte einen aufrichtigen Eindruck. »Anscheinend dürfen wir von Glück reden, dass Sie in unsere Stadt gekommen sind, Miss Murphy.« Doch etwas in der Art, wie er seine Worte betonte, mahnte Victoria zur Vorsicht.
Victoria zuckte mit den Schultern und hoffte, dass sie das richtige Maß an Bescheidenheit zeigte. »Eine allein stehende Frau ist gezwungen, so manches zu lernen, Sir.« Dann wandte sie sich erneut Lila zu, deren Gesicht immer mehr zu schwoll .
Sie wagte es erst, wieder tief durchzuatmen, als sie spürte, dass er gegangen war.
»Alles in Ordnung, Schätzchen?«, fragte Vel und legte eine Hand auf ihre. »Du zitterst ja.«
Victoria schaute sie an. »Ich mag ihn nicht.« Eine glatte Untertreibung für das, was sie wirklich empfand.
»Ich auch nicht.«
Victoria zog fragend eine Augenbraue hoch.
»Ich meine, er ist schon in Ordnung und behandelt uns alle sehr nett...« Stirnrunzelnd blickte sie zur Tür hin. »Aber ich fühle mich trotzdem in seiner Nähe immer irgendwie unbehaglich.«
Victoria fand es bemerkenswert, dass Vel sich nicht wie alle anderen hinters Licht führen ließ. Sie überlegte kurz, entschied dann aber, dass es am besten sei, wenn sie sich niemandem anvertraute. Je weniger andere wussten, desto sicherer waren sie. Aber eine kleine Warnung konnte nicht schaden.
»Und warum ist das so?«, wollte sie wissen. Sie setzte sich müde aufs Bett und legte eine kalte Kompresse auf Lilas geschwollenen Unterkiefer.
Vel zuckte mit den Schultern und versuchte, ihre Empfindungen in Worte zu fassen. »Ich habe immer das Gefühl, dass er uns alle für dumm hält, dass er glaubt, wir stünden weit unter ihm - aber dass er sich hütet, das nach außen zu zeigen. Ich bin keine Intelligenzbestie, aber in meinem Geschäft lernt man Menschen einschätzen.« Victoria fiel erneut auf, dass Vel immer dann ohne Akzent redete, wenn sie intensiv über etwas nachdachte.
Vel machte eine ausholende Geste. »Er betrachtet das alles hier als Spiel, es bedeutet ihm nichts.« Sie schüttelte den Kopf, bemühte sich, das zu verstehen, was Victoria schon wusste. »Er ist in allem übergenau, will alles absolut perfekt und sauber haben. Es macht ihn wahnsinnig, wenn seine Routine unterbrochen wird. Doch er behandelt uns gut. So wie neulich, als Dee ihre Tage hatte und er sie zum Doktor brachte, weil ihre Krämpfe so schlimm waren, dass sie kaum laufen und schon gar nicht arbeiten konnte.«
Bei
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