Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben
es noch einen ganz bestimmten Vorfreudeverstärker.
Wir hatten natürlich, wie in jedem Jahr, unser ganz normales Urlaubsgepäck dabei, das wir, praxisorientierte Camper, die wir sind, gar nicht erst in Koffer oder Taschen packen, sondern in Wäschekörbe stapeln. Das hat einen für Camper entscheidenden Vorteil, denn der Camper hat alles, nur keinen Platz. Nun, Wäschekörbe nehmen keinen Platz weg, man kippt den Inhalt einfach ins Vorzelt, stapelt sie danach ineinander und stellt sie wieder in den Kofferraum.
Wie in jedem Jahr gab es die kleine Diskussion zwischen Tristan und Anne, wie mit der ins Vorzelt gekippten Kleidung weiter zu verfahren sei. Anne ist der Ansicht, dass man sie am besten fein säuberlich in den viel zu knapp bemessenen Stauraum des Caravans stapelt, während Tristan argumentiert, dass es »erheblich ökonomischer« wäre, sich einfach aus dem Kleiderhaufen im Vorzelt zu bedienen. Wenn man dann daneben einen zweiten Kleiderhaufen mit Schmutzwäsche baut, muss man am Ende des Urlaubs nur noch die gestapelten Wäschekörbe dem Kofferraum entnehmen, den zweiten Kleiderhaufen darin verteilen und diese wiederum im Kofferraum verstauen.
Tristan konnte sich mit seiner Version des »ökonomischen Kleidungsmanagements« noch nicht durchsetzen, aber im Jahr 2004 war Tristan elf Jahre alt. Ich zweifelte nicht daran, dass sich seine Argumentationsfähigkeiten in den nächsten Jahren noch entwickeln würden.
Ich will nicht abschweifen, wir waren beim Vorfreudeverstärker im Jahre 2004 . Na ja, wir hatten erstmalig außer den Wäschekörben auch eine Tasche dabei. Es war eine schwarze Sporttasche, mit – links – einem wasserdichten Fach für die Badebekleidung oder Stinkeschuhe, rechts einem kleinen Fach für die Stoppuhr und den Trainingsplan für blutige Anfänger aus dem Internet, und – in der Mitte – ganz viel Stauraum für unsere funktionale Laufbekleidung und für das Buch »Joschka Fischer – Mein langer Lauf zu mir selbst«.
Und ich fand auch noch etwas Platz für meinen letzten Zukauf. Kurz vor den Ferien hatte ich noch eine letzte Investition getätigt, für die eigene Motivation und zum Schutz vor steifen Gliedern durch steife Brisen.
Ich hatte bei Laufpapst Willi Funktionsunterwäsche besorgt. Willi hatte mir den Vorteil dieser Unterbekleidung »janz jenau« erklärt: »Der Mensch transpiriert beim Schwitzen, un et jitt keine Unterwäsche, die dat verhindern kann. Aber Funktionsunterwäsche leitet den Schweiß durch eine Membran vom Körper weg bis zur Laufbekleidung, die natürlich feuchtigkeitsabweisend ist. Die Flüssigkeit reibt sich in dem schmalen Korridor zwischen Funktionsunterwäsche und Laufbekleidung so lange gegenseitig auf, bis sie weg ist.«
Haben Sie das verstanden? Ich auch nicht, aber das Besondere an einem Papst ist ja bekanntlich, dass man nicht immer alles verstehen muss, man muss es glauben. Ich habe die Funktionsunterwäsche also gekauft, und ich kann nur sagen, wer einmal ohne jeden Schweiß am Körper (der ist ja in dem Korridor dabei, sich aufzureiben!) an der Nordsee entlanggejoggt ist, der weiß, warum Willi ein Laufpapst ist.
Diese Laufausrüstung war mein Urlaubsvorfreudeverstärker, mein Lauflustkatalysator. Ja, ich würde diese Osterferien nutzen, um mich meinem Ziel zu nähern. Es galt, Ende des Jahres fünfundvierzig Minuten am Stück zu traben, dabei tief durchzuatmen und die Endorphine zu genießen.
Ich war mir sicher, die Nordseeküste in Noordkapelle auf der Halbinsel Walcheren war bestens dafür geeignet. Jede Menge kleine Straßen, auf denen selten ein Auto fährt, hohe Hecken als Windschutz, Nachbarn, die dem gleichen Hobby frönen, und kein Berg, kein Hügel im Weg, keine einzige Steigung, außer dem Deich. Ich war aber optimistisch, dass es mir gelingen sollte, die Trainingseinheiten so einzuteilen, dass dieser alpine Streckenabschnitt in eine der Gehphasen fiel.
Alle Probleme beseitigt: Holland, du Läuferparadies, wir kommen!
Ich glaube mich zu erinnern, dass es der Stau auf dem Ring um Antwerpen war, der meinen Optimismus jäh verfliegen ließ. Das Auto, immerhin eine große silberne Kombi-Limousine, hatte eine Menge Pferde unter der Haube, eine mittelschwere Ponderosa-Ranch, und auf dem Fahrersitz saß Hoss Cartwright, und der konnte noch so oft »Hüah!« rufen. Nichts ging mehr. So ist das oft am Freitagnachmittag rund um Antwerpen. Und dann kamen die bösen Gedanken.
Ich dachte an Lothar und Gaby Westerbeck, unsere Nachbarn auf
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