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Wer Andern Eine Grube Gräbt: Mitchell& Markbys Fünfter Fall

Wer Andern Eine Grube Gräbt: Mitchell& Markbys Fünfter Fall

Titel: Wer Andern Eine Grube Gräbt: Mitchell& Markbys Fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Granger Ann
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einen sarkastischen Blick zu.
    »Wenn ich heute daran zurückdenke, dann weiß ich, dass es keine Abneigung war, sondern etwas ganz anderes! Und ich denke, es war unvermeidbar, weil Onkel Lionel damals ebenfalls ein junger Mann war. Mutter war einigermaßen hübsch, und er wurde unruhig. Wie ein Stier, den man zu nahe bei den Kühen auf die Weide gestellt hat. Aber er hatte eine Abmachung mit meinem Vater. Nur einer von beiden durfte heiraten.« Aus den Augenwinkeln sah Markby, dass Pearce sich unruhig regte. Auch Brian wirkte unstet. Er bewegte sich auf seinen Kissen und legte die Hand auf das geschwollene Gesicht.
    »Möchten Sie, dass ich eine Stationsschwester rufe?«, fragte Markby.
    »Nein, nein, schon gut.« Brian zögerte.
    »Aber es war nicht richtig damals, oder? Es war falsch. All dieses Unglück und dieses Verlangen, dieses Verlangen nach etwas, das falsch war! Sie hat es in seinem Gesicht gesehen, und ich habe es gespürt, obwohl ich noch ein Kind war. Auch wenn ich nicht verstand, um was es ging. Aber ich sah, dass sie todunglücklich war. Und dass es mit den Jahren immer schlimmer wurde. Deswegen war ich auch nicht überrascht, als sie eines Tages ging.« Brians Stimme nahm einen nostalgischen Tonfall an.
    »Man konnte ihr Unglück spüren. Es sickerte aus ihr heraus. Ich sah sie kaum jemals lächeln. Und ihr Aussehen schwand ebenfalls dahin. Sie wurde dünn und weiß wie ein Bettlaken. Wen wundert’s?« Jetzt schwang Wut in seiner Stimme mit.
    »Sie war ein Arbeitstier, weiter nichts. Aufstehen in der Morgendämmerung und den ganzen Tag lang nichts als Arbeit! Und wenn sie mal Zeit fand sich hinzusetzen, hatte sie immer etwas zum Nähen oder Stricken! Dann, eines Tages, als ich vielleicht vierzehn war, trieb ich die Kühe zum Melken herein. Und sie kam aus dem Haus und rief mich zu sich. Sie sah alt aus, obwohl ich bezweifle, dass sie so alt war wie ich heute. Aber ich sah gleich, dass irgendetwas an ihr anders war. Als hätte sie einen Entschluss gefasst. Sie sagte: ›Brian, ich kann es nicht mehr länger ertragen, und du bist nun alt genug, um ohne mich zurechtzukommen. Also gehe ich fort.‹ Und da sah ich, dass sie einen alten Koffer bei sich trug. Ich war nicht überrascht, aber ich sagte ihr, wie leid es mir täte. Sie sagte: ›Es ist nicht deine Schuld. Aber wenn ich nicht jetzt gehe, solange ich noch aus eigener Kraft gehen kann, werde ich in einer Holzkiste aus diesem Haus getragen.‹ Ich bot ihr an, den Koffer für sie hinunter zur Bushaltestelle zu tragen, doch sie wollte nicht. Sie sagte, sie käme allein zurecht. Und dann ging sie. Ich weiß nicht wohin, genauso wenig wie mein Vater. Soweit ich weiß, hat sie nie geschrieben. Ich hoffe, sie ist glücklich dort, wo sie hingegangen ist. Ich mache ihr keinen Vorwurf. Ich wünschte, ich hätte ihr helfen können, aber ich war nur ein kleiner Junge, und sie musste sich selbst helfen. Mutter ist einzig und allein wegen mir so lange bei Vater und Onkel Lionel geblieben.« Stille breitete sich aus. Brian starrte gedankenverloren ins Nichts, versunken in seinen Erinnerungen.
    »Was war mit Ihrem Vater in all der Zeit, Brian? Hat er denn nicht bemerkt, dass Ihr Onkel zu einem Ärgernis wurde, was Ihre Mutter betraf?« Als Brian nicht antwortete, streckte Markby die Hand aus und zupfte ihn am Ärmel.
    »Brian?« Brian drehte langsam den Kopf und sah Markby an.
    »Oh, Dad. Er war kein Mann, der viel geredet hätte. Außerdem standen er und Onkel Lionel sich sehr nahe, wie ich es bereits gesagt habe.« Ein verzerrtes Lächeln huschte über das sonnengebräunte Gesicht des Farmers, doch es lag keine Heiterkeit darin.
    »Einmal hat eine unserer Kühe zu früh gekalbt. Zwillinge, aber die Tiere waren zusammengewachsen wie menschliche siamesische Zwillinge. Sie waren beide tot, und fast hätten wir die Kuh auch noch verloren. Aber ich erinnere mich noch genau, dass ich mich an Vater und Onkel Lionel erinnert fühlte, als ich die Missgeburt auf dem Stroh liegen sah. Sie waren genauso miteinander verwachsen, nicht im Körper, sondern im Geist, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Ich denke schon«, antwortete Markby. Erneut herrschte eine Weile Schweigen, bevor er fragte:
    »Und wie hat Lionel auf den Weggang Ihrer Mutter reagiert?«
    »Er wurde noch eigenartiger«, antwortete Brian energisch.
    »Er war auf seine Weise schon immer ein wenig seltsam, aber danach wurde es schlimmer. Jedenfalls war das ein weiterer Grund, warum ich Natalie geholfen

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