Wer Andern Eine Grube Gräbt: Mitchell& Markbys Fünfter Fall
solltest du? Ich dachte: Sie versucht, dir Angst zu machen und dich im Kreis laufen zu lassen. Ich war fest entschlossen, ihr mieses kleines Spiel nicht mitzuspielen. Wie gesagt, es war nicht das erste Mal, und ich war es verdammt leid! Ich erwarte nicht, dass Sie mich verstehen.«
»Ich verstehe Sie sogar sehr gut«, sagte Markby abrupt. Er beobachtete für einen Augenblick die Männer, die auf der Müllhalde herumkletterten.
»Als Dr. Gretton Sie gefragt hat, wo Ihre Frau steckt, haben Sie ihr gesagt, sie wäre bei ihrer Mutter.«
»Ja. Ich wollte nicht, dass Sula dachte, wir hätten schon wieder Streit.«
»Weil es bei diesem Streit um Dr. Gretton ging?«
»Ja, wenn Sie es genau wissen wollen!«, zischte Woollard ärgerlich.
»Und damals dachte ich tatsächlich, dass Natalie wahrscheinlich nach Bamford gefahren ist. Aber kurz danach hat Amy angerufen und nach ihr gefragt, also war Natalie offensichtlich nicht bei ihrer Mutter. Ich musste Amy eine Geschichte erzählen, sonst hätte sie alle fünf Minuten bei mir angerufen. Amy ist eben so. Also hab ich gesagt, dass ihre Tochter in London wäre.«
»Aber selbst nachdem Sie Ihre Frau seit mehr als achtundvierzig Stunden vermisst haben, machten Sie keine Anstalten, nach ihr zu suchen oder ihr Verschwinden anzuzeigen. Erschien es Ihnen nicht eigenartig, dass Natalie sich nicht bei ihrer Mutter gemeldet hat? Die alte Dame hätte sich doch möglicherweise große Sorgen um ihre Tochter machen können.« Woollard fauchte wütend.
»Meine Schwiegermutter mag es – mochte es –, wenn Natalie um sie herumsprang. Sie hing ständig am Telefon und brachte Natalie dazu, nach Bamford zu fahren, wegen nichts und wieder nichts! Es war nicht meine Familie, also ging es mich auch nichts an; ich überließ es Natalie. Vielleicht dachte Natalie, sie könnte uns beiden gleichzeitig eins auswischen. Uns eine Lektion erteilen, wie sie es nannte.«
»Sie reden, als wäre Ihre Frau eine rachsüchtige Person gewesen«, stellte Markby fest.
»War sie das?« Woollard vergrub das Gesicht in den Händen, eine Geste, die Markby überhaupt nicht mochte, und er misstraute Zeugen, die so etwas taten. Es verdeckte ihre Gesichter und damit das, was in ihnen vorging.
»Sie kennen Natalie nicht. Ich meine, Sie haben sie nicht gekannt!« Woollards Stimme klang dumpf hinter seinen Händen. Große, kräftige Hände mit langen, starken Fingern, dachte Markby. Wie Fuller so schön gesagt hatte – um jemanden zu erdrosseln, musste man nur an den richtigen Stellen drücken. Oftmals geschah es aus reinem Versehen. Hatte Woollard vielleicht in einem Anfall von Jähzorn …?
»Natalie verstand es großartig, über emotionale Krisen zu schreiben!«, sagte Woollard unvermittelt.
»In ihren Büchern hatten der Held und sein Mädchen stets einen gewaltigen Krach, und am Ende haben sie stets in einer gewaltigen Versöhnungsszene wieder zusammengefunden. Sie dachte wohl, sie könnte unser Leben wie eins von ihren Büchern steuern, ihres und meines. Sie dachte wohl, ich wäre einer der Charaktere aus ihren Büchern. Sie konnte mich manipulieren, mich dazu bringen, die Worte zu sagen, die sie hören wollte. Sie dachte, sie könnte tun, was sie wollte, und ich würde sie immer lieben, ganz gleich, was geschieht! Sie haben ja keine Ahnung, wie sehr ich das leid war und wie … wie ermüdend das ist! Ich war erschöpft, am Boden. Ich hatte genug!«
»Ich habe angefangen, ein Buch Ihrer Frau zu lesen«, sagte Markby.
»Haben Sie? Dann werden Sie bald verstehen, wie Natalie dachte. Steht alles drin.«
»So weit mir bekannt ist, hat sie die unbearbeiteten Korrekturbögen ihres letzten Buches zurückgelassen, als sie aus dem Haus gegangen ist. Finden Sie das nicht merkwürdig? War das normal?« Woollard hob den Kopf und blickte Markby an.
»Nein. Aber diesmal wollte sie mir wohl wirklich Angst machen, und das war alles, was zählte. Es war nicht normal, nein, aber sie war auch nicht normal in diesem Augenblick. Sie war hysterisch, vollkommen durch den Wind, hat mich voller Hass angekeift. Ich glaube, sie wollte mich wirklich leiden lassen. Sie … sie war rachsüchtig, ja, Sie haben Recht.«
»Wegen Ihrer Affäre mit Dr. Gretton?« Woollards Gesicht lief rot an.
»Halten Sie Sula aus dieser Sache heraus!«
»War es wegen Dr. Gretton?«, wiederholte Markby erbarmungslos.
»Ja!«, brüllte Woollard, und Pearce, der sich diskret mit einem Notizblock im Hintergrund hielt, blickte auf.
»Sula hat unsere …
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