Wer Andern Eine Grube Gräbt: Mitchell& Markbys Fünfter Fall
mein Beileid auszusprechen, und sie hätte mir fast ins Gesicht gespuckt!«
»Sie weiß nichts!«, sagte Dan starrsinnig.
»Sie mag vielleicht einen Verdacht hegen, aber sie weiß nichts! Es liegt einfach daran, dass du gut aussiehst und jung bist und wir zusammen arbeiten. Amys Verstand funktioniert nun einmal so.«
»Hör auf, die Fakten zu verdrehen, Dan!«, explodierte Ursula.
»Ich ertrage das einfach nicht mehr! Stell dich wenigstens einmal im Leben der Realität! Amy weiß über uns Bescheid!« Er antwortete nicht, und sie bemerkte die vertraute Sturheit in seinen Augen. Er wollte nicht wahrhaben, dass seine Affäre allgemein bekannt war. Doch er sollte mit der Nase darauf gestoßen werden. Als sie das Gebäude verließen und auf den Parkplatz gingen, sprang eine Gestalt vor ihnen auf, ein lautes Klicken war zu hören, und die Gestalt eilte davon.
»Was zur …!«, brüllte Dan, während Ursula noch – viel zu spät – die Hände hochriss, um ihr Gesicht zu verbergen.
»Die Presse!«, ächzte sie.
»Hey!« Woollard wollte hinter dem Fotografen her, doch er hatte nicht den Hauch einer Chance, ihn einzuholen.
»Mach jetzt bloß keine Szene!«, flehte Ursula. Sie hatten bereits Aufmerksamkeit erregt, und überall drehten sich Gesichter nach ihnen um. Einige tuschelten. Woollard blieb stehen, mit hilflos herabhängenden Armen, das Gesicht vor Wut verzerrt.
»Wenn ich diesen Mistkerl zu fassen kriege, breche ich ihm den verdammten Hals!« Ringsum herrschte Totenstille.
»Musstest du das sagen? Ausgerechnet?«, fragte Ursula bitter.
»Was denn?« Er starrte sie verständnislos an. Dann dämmerte es ihm. Er wirbelte zu der kleinen Menge aus Gaffern herum.
»In Ordnung, alles herhören. Für den Fall, dass Sie sich fragen: Ich habe meine Frau nicht umgebracht. Haben Sie das begriffen? Ich wiederhole es gerne noch einmal: Ich habe meine Frau nicht umgebracht!« Aus dem Hintergrund der Menge ertönte eine Stimme, eine ältere weibliche Stimme, emotionsgeladen, doch kristallklar.
»Kommt darauf an, wie man es betrachtet. Hätte mein armes Mädchen dich nicht geheiratet, wäre sie heute noch am Leben! Für mich bist du schuld an ihrem Tod, Daniel Woollard, und so wird es immer bleiben! Du und diese Schlampe neben dir! Ja, Sie, Miss! Sie müssen mich gar nicht so von oben herab ansehen! Wir wissen alle ganz genau, wer und was Sie sind!« Es war ein Albtraum. Es war schlimmer als ein Albtraum. Mit hoch erhobenem Kopf und versteinertem Gesicht marschierte Ursula durch die Menge. Die Leute machten ihr Platz. Sie wusste nicht, wo Dan war, doch er war ihr – Gott sei Dank! – nicht gefolgt. Sie fand ihren Wagen und schloss die Tür auf, doch dann wurde sie von einem Schwindelanfall gepackt. Ursula zögerte. Die Schlüssel immer noch in einer Hand, stützte sie sich mit der anderen am Wagendach ab und senkte die pochende Stirn darauf. Es dauerte nur einen kurzen Augenblick. Als sie das Gesicht wieder hob, wankten die Bäume ringsum sekundenlang, dann standen sie endlich wieder fest in der Erde, und Ursula bemerkte ein Gesicht. Es war ein grinsendes Gesicht, das sie – jedenfalls schien es ihr so, bevor der letzte Rest von Schwindel verflog – zwischen einem Kranz von Blättern hindurch hämisch anlächelte. Ein rundes, gebräuntes Gesicht. Boshaft und spöttisch. Ursula stieß einen leisen Schreckensschrei aus. Dann erkannte sie das Gesicht wieder. Es gehörte Brian Felston, der ein paar Fuß entfernt auf der anderen Seite ihres Wagens stand und sie beobachtete. Er hatte die Hände in den Taschen seiner Sonntagsjacke vergraben, sodass der Stoff über den Knöpfen noch mehr spannte.
»Was wollen Sie?«, fuhr sie ihn wütend an.
»Nur sehen, ob alles in Ordnung ist mit Ihnen. Sie müssen mich deswegen nicht direkt angiften.« Felston trat ein paar Schritte vor. Er grinste nicht mehr und stellte auch nicht länger diesen spöttischen Gesichtsausdruck zur Schau. Vielleicht hatte Ursula sich alles nur eingebildet, doch das schien ihr eher unwahrscheinlich, und ihr Instinkt riet ihr, ihm nicht zu vertrauen.
»Mir geht es gut, danke.«
»Amy ist völlig durcheinander. Es ist vollkommen natürlich. Beachten Sie sie einfach nicht zu sehr.«
»Amy? Ach ja. Natalies Mutter.« Misstrauen schlich sich in Ursulas Bewusstsein.
»Sie scheinen mit ihr befreundet zu sein.«
»Ich kenne Amy schon viele Jahre. Es schien nur schicklich, heute vorbeizukommen und ihr mein Beileid auszudrücken.« Ursula dämmerte langsam,
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